■ Vorgespult: Rushdies Pfeffer
Der Ton ist treibend. Er muß es sein. Zu zahlreich ist die Menge der Ereignisse, zu nah ist ihr Ziel, die Jetztzeit, als daß man sich lange mit dem Wundern aufhalten könnte. Mit Räsonieren, Diskutieren oder dergleichen mehr. Es ist zuerst der Pfeffer, der diese Erzählung treibt, der Pfeffer, den man hört, wie er aus einem Sack rieselt. Es ist der Wellenschlag des Wassers und ein Hammerschlag von fern. Manchmal ist der Atem Moors zu hören, des Erzählers. Moor ist der letzte männliche Nachkomme der Gewürzdynastie da-Gama-Zogoiby aus Cochin, Indien, verbannt inzwischen, wie wir erfahren, und verdammt. Verdammt zum Erzählen: „Ich erzähle diese Geschichten, um mit ihnen abzuschließen. Sie sind alles, was ich habe, also lass' ich sie frei.“
Salman Rushdies „Des Mauren letzter Seufzer“ gehört zu den Büchern, in denen man oft und gern zu der beigegebenen Stammbaumskizze zurückblättert. So verwirrend scheinen anfangs die Familiendramen, die Morde, Menstruationen, Seitensprünge. So rasant vollziehen sich all die Verheiratungen, Verletzungen, Trennungen, die so eine anständige Dynastie mit sich bringt. Nicht zu vergessen das Erwachsenwerden. Rushdie schildert diesen Vorgang an der Aurora da Gama, der Mutter des Erzählers. Warum läßt sie die Großmutter Epifania sterben? Warum geht sie, angeblich, „Tiger jagen“? Warum will die Schwiegermutter ihr Erstgeborenes? Andere würden aus solchen Episoden ganze Romanhandlungen konstruieren.
Kann man so viel überhaupt in ein Hörspiel packen, wo kein Hin- und Herblättern die Verwirrung der Stimmen aufhalten kann? Die WDR-Produktion (Regie: Norbert Shaeffer) schafft es, Rushdies überreiche Geschichte in eine Radioerzählung zu transformieren, die durch den treibenden Rhythmus der Erzählerrede (Peter Dirschauer) zusammengehalten wird. Und vom Rieseln des Pfeffers. „Der Pfeffer war es. Ohne ihn hätte das, was in Ost und West heute endet, nie angefangen.“ Also: Pfeffern Sie Ihr Osterei damit!Lutz Meier
Salman Rushdie: „Des Mauren letzter Seufzer“ in vier Teilen auf WDR 3: 23., 28., 30., 31. März, jeweils 16 Uhr
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