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Haltlose Versprechen

■ Gab es die Wiedervereinigung nur bei Verzicht auf die Nato-Erweiterung?

Helsinki (taz) – Die Pläne zur Osterweiterung der Nato stehen im Widerspruch zu Versprechen, die bei den Verhandlungen um die deutsche Wiedervereinigung im Jahre 1989/90 gemacht wurden. Das geht aus einem vor kurzen veröffentlichten Buch hervor. (Germany Unified and Europe Transformed: A Study in Statecraft, Harvard University Press, London 1997). Die Autoren, Condoleezza Rice und Philip Zelikow, waren enge Mitarbeiter des damaligen US-Außenministers James Baker und bei den sogenannten Zwei- plus-Vier-Verhandlungen zugegen. Demnach haben die Außenminister der USA und der Bundesrepublik Deutschland, James Baker und Hans-Dietrich Genscher, 1989/90 dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow zugesagt, daß es keine Nato-Osterweiterung geben werde.

Die Autoren erinnern daran, daß Genscher bereits in einem Vortrag im Herbst 1989 erklärte, bei einer Wiedervereinigung solle „keine Ausweitung der Nato“ stattfinden. Diese Formulierung stieß jedoch ebenso wie das Modell eines demilitarisierten Sonderstatus für das ostdeutsche Territorium im Weißen Haus wie im Bonner Kanzleramt auf Widerspruch. In der Folge habe Baker laut Rice und Zelikow „Genschers Formel aufgenommen und in eine mehr juristische Fassung gebracht“. Baker habe Schewardnadse und Gorbatschow „eisenharte Garantien“ gegeben, daß weder die Jurisdiktion noch die Streitkräfte der Nato nach Osten verschoben würden, wenn Moskau die Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands in der Nato akzeptiere. Diese Formulierung wurde von der Bush-Regierung später auch in Briefen an die Moskauer Führung wiederholt. Nach den Aufzeichungen von Rice und Zelikow stellte Baker Gorbatschow vor die Wahl zwischen einem „unabhängigen Gesamtdeutschland außerhalb der Nato und ohne US-Truppen auf deutschem Boden“ und der „Einbindung des vereinten Deutschland in die Nato bei gleichzeitigen Garantien für den Verzicht auf eine über Ostdeutschland hinausgehende Ausweitung der Nato“. Jede Ausdehnung der Nato sei inakzeptabel, habe Gorbatschow geantwortet, und Baker darauf erklärt: „Dem stimme ich zu.“ Nach Darstellung der Autoren hat dies entscheidend dazu beigetragen, daß Kohl und Genscher beim Moskauer Treffen mit Gorbatschow am 10./11. Februar 1990 „grünes Licht“ für die Wiedervereinigung und die Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands in der Nato erhielten. Andreas Zumach

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