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Die City-West frißt Gewerbe

taz-Serie „Brennpunkt Masterplan“ (Teil 4): In Charlottenburg sollen nach dem Wunsch des Stadtentwicklungssenators auf den alten Gewerbeflächen hochwertige Wohnungen und Dienstleistungsbüros entstehen. Die Betriebe, Gewerbehöfe und das zuständige Bezirksamt wehren sich gegen diese Planung  ■ Von Hannes Koch

Von der denkmalgeschützten Halle der alten Coca-Cola-Fabrik blieb nur ein Trümmerhaufen. Verbogene Stahlträger ragten in den Himmel. Die Reste des Daches hingen an wenigen Stützen. Anfang März brannte die Halle an der Franklinstraße in Charlottenburg nieder. Nach ersten Inspektionen begann die Kriminalpolizei wegen Brandstiftung zu ermitteln. Denn das Feuer war an vier Stellen gleichzeitig ausgebrochen.

Ein merkwürdiges Zusammentreffen: Bereits seit längerem schwelt ein Streit um das Gelände in dem Gewerbegebiet zwischen Landwehrkanal und Spree. Nach Informationen von Charlottenburgs Baustadträtin Beate Profé (Bündnisgrüne) wollte der Eigentümer, die Firma Winter, schon 1996 auf seiner Immobilie Wohnungen und Büros errichten.

Das Bezirksamt lehnte aber ab: Es bestehe Denkmalschutz und außerdem sei das Gebiet als Gewerbefläche eingetragen. Nach dem vernichtenden Feuer fehlt jetzt dem Bezirksamt aber eins der beiden Argumente im Widerstand gegen die Aufwertung des Geländes: Die Neubebauung mit Wohnungen und Büros wird damit wahrscheinlicher.

Der Konflikt um die Coca-Cola- Fabrik spiegelt im Kleinen die gesamte Auseinandersetzung um das alte Industriegebiet nordwestlich des S-Bahnhofs Tiergarten. Während der Bezirk auf der Gewerbenutzung beharrt, sieht die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung seit der Wende dort ein mögliches „Erweiterungsgebiet für die City- West“. Diese Beschreibung des Areals findet sich auch in dem kürzlich von Senator Peter Strieder (SPD) vorgestellten Masterplan.

Gerade die Flächen an den Ufern des Landwehrkanals und der Spree „sind ganz attraktive Wohn- und Mischgebiete“, erläutert Strieders Planer Wolfgang Süchting. Als zukünftige MieterInnen sieht er zum Beispiel die „hochqualifizierten Beschäftigten“, die in den Forschungsinstituten des Charlottenburger Spreebogens oder den gläsernen Bürotürmen in Moabit arbeiten. Auch Büros von Dienstleistern sind ihm willkommen.

Laut Masterplan sollen die großen, heute noch zusammenhängenden Fabrikareale durch Straßen erschlossen und in die typischen Berliner Blöcke unterteilt werden. Die Vision von Masterplaner Süchting: Neue Wohnungen und Büros werden an den Blockrändern errichtet. Das „für den öffentlichen Raum nicht attraktive Gewerbe“ soll sich von den Straßen möglichst in die Blockinnenflächen zurückziehen, „damit das Quartier zum Leben zurückkommt“.

Die Art dieser Reanimation läßt sich an der stadtlandschaftlich wunderschönen Stelle im Nordwesten des umstrittenen Geländes beobachten. Wo Landwehrkanal, Spree und Charlottenburger Verbindungskanal zusammentreffen, entstehen mit Blick über ruhige Wasserflächen und baumgesäumte Ufer die Nobelwohnungen der „Spreeresidenz“.

Sechstausend Mark verlangt die Bayerische Hypothekenbank für den Quadratmeter Wohnungseigentum – ein Preis im oberen Drittel des Marktes. Gegenüber hat die Colonia-Versicherung einen postmodernen Palast errichtet. Entlang den Straßen fressen sich die neuen Nutzungen allmählich ins Industriegebiet hinein.

„So etwas ist hier überhaupt nicht zu machen“, gibt Wolfgang Tietz zu bedenken. Der frühere Eigentümer einer Textilfabrik vermietet heute in seinem Gewerbezentrum Räume an zwanzig Klein- und Mittelbetriebe. Darunter sind Schlossereien, Modeateliers und Requisitenbauer.

Vom Dach des Gebäudes geht der Blick über das weitläufige Gewerbegebiet von der Größe des Potsdamer Platzes: Fabrikationsstätten, so weit das Auge reicht, Chemiebetriebe, Druckereien, Hersteller von Schweißanlagen.

Vor zehn Jahren arbeiteten hier 7.000 Menschen, heute noch 4.000. Die sinkende Zahl der Arbeitsplätze zeigt jedoch, daß viele Gebäude und Grundstücke heute kaum noch genutzt werden: Das schafft Begehrlichkeiten für neue Nutzungen.

Trotzdem schüttelt Wolfgang Tietz den Kopf: „Wo wollen Sie hier Wohnungen hinbauen?“ Die Flächen um sein Gewerbezentrum seien nötig, damit die Lkws rangieren könnten. „Schon heute ist es zu eng“, so Tietz. Doch direkt an die Wand seines vierstöckigen Gewerbekomplexes haben die Stadtentwickler im Masterplan eine rot eingezeichnete Blockrandbebauung gesetzt.

Das wird später Ärger geben, argwöhnt der Vermieter. Welcher betuchte Stadtbürger wolle schon neben einer Schreinerei wohnen, die früh um sieben Uhr die Kreissäge anstelle? Baustadträtin Profé assistiert: „Die Kreuzberger Mischung aus Wohnen und Hinterhofbetrieben kann man nicht neu gründen.“

Ein Vorschlag der Masterplaner freilich stößt bei dem Gewerbehofbetreiber auf Gegenliebe: Man müsse das Areal zwischen Franklin- und Dovestraße mit neuen Straßen erschließen, damit auch die Lastwagen bessere Zufahrten bekommen.

Doch selbst diese Idee läßt Günther Habermann, dem Geschäftsführer der benachbarten landeseigenen Gewerbesiedlungsgesellschaft (GSG), die Haare zu Berge stehen: „Vor Jahren wurde ein Kind von einem Transporter zerquetscht.“

Fremde Fußgänger will Habermann möglichst aus seinen Gewerbehöfen mit den 50 Betrieben heraushalten – und auch der für die Öffentlichkeit heute unzugängliche Park der GSG solle weiterhin ausschließlich den Beschäftigten für eine ruhige Mittagspause vorbehalten bleiben.

Eher trifft Habermann die Interessenlage der Gewerbetreibenden mit einem weiteren Argument. Ein erzwungener Umzug in die Höfe der neuen Masterplan- Blöcke werde vielen Betrieben finanziell das Genick brechen. „Massiver Wohnungsbau, die damit verbundene Aufwertung und steigende Gewerbemieten verdrängen das Gewerbe“, befürchtet auch die bündnisgrüne Baustadträtin Beate Profé.

Zwischen Dove- und Franklinstraße sieht die grüne Stadträtin deshalb „kaum Chancen“, Wohnungen zu bauen. Profé will innenstadtnahe Gewerbejobs erhalten und die Gegend so weiterentwickeln, wie es im nördlich gelegenen Spreebogen schon begonnen wurde: Forschungs- und Entwicklungsinstitute könnten sich ansiedeln, die eine enge Verbindung zur Produktion pflegen.

Etwas anders stellt sich die Lage im südlichen Bereich zwischen Franklinstraße und S-Bahnhof Tiergarten dar. Nach dem Zusammenbruch von Unternehmen, die die Kürzung der Berlinförderung nicht verkraftet haben, liegen schon heute große Flächen brach. Die Siemens-Vertriebsniederlassung wird über kurz oder lang nach Siemensstadt verlagert. Auch die Königliche Porzellan-Manufaktur (KPM) denkt darüber nach, ihr Betriebsgelände zu reduzieren. „Da bin ich lockerer, was Wohnungsbau angeht“, räumt Masterplan-Kritikerin Beate Profé deshalb ein.

Am südlichen Ufer des Landwehrkanals stellt sich trotzdem ein Problem der besonderen Art. Dort residiert die Niederlassung von Mercedes-Benz, die in Zukunft die schwarzen Staatskarossen der Bundesregierung und des Diplomatischen Korps citynah putzen und reparieren möchte.

Stadtplaner Wolfgang Süchting will auch die Daimler-Filiale gern ins Innere eines neuen Blocks verscheuchen. Doch schon schwant ihm, daß die prestigebewußten S-Klasse-Verkäufer das nicht mit sich machen lassen.

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