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Hier grillt der Chef persönlich

Streikauftakt im Gastgewerbe: Mit Trillerpfeifen an der Autobahn  ■ Von Ulrike Winkelmann

Östlich der Autobahn gab's Brokkolisuppe für die Streikposten, westlich der A1 ertönten ab und an Trillerpfeifen. Um beide Autobahnseiten gleichermaßen zu bedienen, fuhren die Stillhorner „Wienerwald“-Beschäftigten möglichst oft zwischen ihren beiden Betriebshälften hin und her.

In beiden „Wienerwalds“links und rechts der A1 südlich von Hamburg befanden sich die gewerkschaftlich organisierten ArbeitnehmerInnen gestern im Streik. Als erster Hamburger Gastronomie-Betrieb stieg Stillhorn damit in den Arbeitskampf ein.

Dazu hatte die Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten, kurz NGG, erstmalig seit 1945 aufgerufen, nachdem in der vergangenen Woche in Stillhorn, der CCH-Gastronomie, dem SAS-Radisson-Hotel und dem Hotel Europäischer Hof mehr als 90 Prozent der NGG-Mitglieder für Streik gestimmt hatten.

Die NGG will mit einem neuen Manteltarifvertrag in Hamburg nicht nur die hundertprozentige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durchsetzen. Sie will auch den Anschluß an den westdeutschen Standard finden – in Hamburg wird für weniger Geld länger gearbeitet als in der Restrepublik, hat die NGG recherchiert.

„Keine Abzüge bei Kranksein, Weihnachtsgeld und mehr Urlaubsgeld“, zählten gestern die „Wienerwald“-Köchinnen Marija Sertic und Edeltraut Roocks ihre Forderungen auf und bliesen zur Bekräftigung in ihre Trillerpfeifen. Trillern macht Laune – und die wird benötigt, denn die Gewerkschaft NGG „richtet sich auf einen langen Kampf ein“, erklärte NGG-Verhandlungsführer Oliver Schulte, der ebenfalls vor Ort war.

Um das Geschäft am Grill aufrechtzuerhalten, mußten in beiden „Wienerwald“-Hälften die Chefs persönlich die Hähnchen wenden und taten dies auch unbeeindruckt. „Der Betrieb läuft normal. Wir können jederzeit aus anderen Häusern Führungskräfte abziehen, die für alles ausgebildet sind“, behauptete Betriebsleiter Benedikt Kockskämper. Die Überstunden bekämen sie allerdings nicht bezahlt – „die stehen bei leitenden Angestellten ja schon im Vertrag mit drin.“Da der „Wienerwald“zu einer österreichischen Holding gehöre, habe man in Stillhorn auf Tarifdinge eh wenig Einfluß.

Um nicht nur die Arbeitgeber zu verunsichern, sondern auch der auf Pflicht- und Servicebewußtsein gedrillten Psyche der 32.000 Hamburger Gastro-Beschäftigten entgegenzukommen, hat NGG-Funktionär Schulte zur Taktik des „flexiblen Überraschungsstreiks“gegriffen. „Wenn der Gastgewerbeverband sich bis Mittwoch nicht gemeldet hat, werden wir nach Ostern in sieben bis zehn weiteren Betrieben den Arbeitskampf aufnehmen“, erklärte er. In Frage kämen dafür vor allem die großen Hoteliers von Steigenberger bis Atlantic. Genaueres gab Schulte gestern noch nicht bekannt, „damit die sich nicht vorbereiten und Ersatzpersonal beschaffen können“.

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