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■ Waigels Sparvorschläge schüren die Anti-Europa-AffekteMade in Maastricht?

Feinsinniges Argumentieren war noch nie Theo Waigels Stärke. Doch sein Vorschlag, die Sozialhilfe zu kürzen, damit Deutschland die Euro-Kriterien erfüllt, ist auch für Waigel bemerkenswert grob gestrickt. Denn die Sozialhilfe wird von den Kommunen finanziert. Die aber sind an der Neuverschuldung – und damit der Erfüllung der Maastricht-Kriterien – ohnehin nur marginal beteiligt. Sachlich spricht also nichts für diese Attacke, ideologisch wird schon eher ein Schuh draus. Wenn der Euro scheitert, waren die Sozialhilfeempfänger schuld – offenbar besonders hartnäckige und durchsetzungsfähige Besitzstandswahrer. Aus CDA-Reihen war zu hören, Waigel betreibe eine „Neidkampagne gegen Sozialhilfeempfänger“. Scharfe, berechtigte Töne. Doch Waigel hält blindlings, als ginge es um Zahlenmysthik, daran fest, daß die Neuverschuldung keinesfalls 3,0 Prozent überschreiten darf. Und dafür muß gespart werden. Auch wenn's gar nichts nützt.

Es gehe nicht an, „den Euro aus vordergründigem Populismus mit Blick auf die anstehenden Wahlen zu instrumentalisieren“ – so heißt es in einem gestern veröffentlichten Papier von einigen CDU/CSU-Abgeordneten (darunter Friedbert Pflüger), die den in die Schußlinie geratenen Waigel stützen wollen.

Ihre Kritik ist auf den SPDler Gerhard Schröder gemünzt, der immer mal wieder mit einem national getönten Gegenkurs zu Kohls Pro-Europa-Politik kokettiert. Eine angebrachte Kritik – die allerdings mindestens ebenso für Waigel zutrifft. Denn auch Waigel instrumentalisiert den Euro für politische Zwecke. Sein Fingerzeig nach Maastricht soll als Spargrund ausreichen. So braucht Waigel nicht mehr politisch zu argumentieren – er tut ja nichts anderes, als Sachzwänge zu exekutieren, auf die man leider keinen Einfluß nehmen kann. So schürt man Ressentiments gegen Europa. Schröders Spiel mit nationalen und sozialen Vorbehalten gegen Europa und Waigels Versuch, die Finanzmisere der Kohl-Regierung mit dem Etikett „Made in Maastricht“ zu versehen, sind zwei Seiten derselben Medaille.

Bislang hat das deutsche Wahlvolk den Abschied von der D-Mark erstaunlich gelassen hingenommen. So taugte das Thema bisher, zum Glück, nicht, um billig bei Wahlen zu punkten. Wenn Waigel so weitermacht, kann sich das ändern. Zumal wenn gleichzeitig die Demokratisierung der Brüsseler Bürokratie nicht vorankommt und sich die Ressentiments gegen Europa noch mit ein paar richtigen Argumenten ausrüsten kann. Stefan Reinecke

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