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"Leder ist meine Identität"

■ Alles, was geil ist, kommt über Ostern zum Homo-Ledertreffen nach Berlin. taz-Gespräch mit Helge Seebacher, 56, Gründungsmitglied des Lederclubs "Motorsport und Contacte e.V."

taz: Guten Morgen, Helge. Was hast Du gerade an?

Helge Seebacher: Einen mongolischen Morgenkittel.

Nichts Ledernes?

Im Augenblick nicht. Ich schaue gerade fern und trage einfach meinen Morgenkittel. Den finde ich ganz lustig und bequem. Aber ansonsten gehe ich natürlich nur in Leder.

Was ziehst Du an, wenn Du zum Ledertreffen gehst?

Ich werde von oben bis unten verledert sein, einschließlich meiner Kappe, die ich seit 30 Jahren trage. Aber, bitte schön, die Socken sind nicht aus Leder.

Ist Leder für Dich mehr als nur eine Mode?

Leder ist meine Identität. Mich hat mal ein Typ gefragt, ob ich erst dann ich sei, wenn ich mir eine Lederjeans über den Arsch gezogen habe. Ich habe lange darüber nachgedacht und dann zu ihm gesagt: Ja, erst dann bin ich ich. Leder ist für mich aber auch Wohlbefinden und gehört zur Partnerschaft. Ich stelle mir das immer so vor: Leder hat so viele Poren, und aus den Poren sprießt Kunst und Schönheit und Musik und und und. Da ist alles drin.

Anfang der siebziger Jahre hast Du den Verein „Motorsport und Contacte e.V.“ mitgegründet. Ihr seid damals 150 Leute gewesen, heute sind es nur noch 50. Was hat sich verändert?

Leder war damals noch eine Überzeugung, Leder zu tragen galt als knallhart. Es war beispielsweise supergewagt, in Lederhose in den Bus zu steigen. Es war unglaublich: Du bist angemotzt und angepöbelt worden. Ich würde auch heute noch keinem Kameraden empfehlen, ganz in Leder in den Bus zu steigen. Du wirst garantiert zusammengeschlagen. Ich selbst bin viermal zusammengeschlagen worden, nur weil ich in der Kluft ordentlich aufgetreten bin. Ich mußte zehn Tage im Krankenhaus liegen. Heute ist Leder was ganz anderes: Leder ist modisch und schick, jeder trägt es.

Und wohin hat sich der Verein entwickelt?

Wir waren damals richtig engagiert. Wir haben Grabenkämpfe ausgetragen – zum Beispiel: Sollen wir überhaupt einen Verein gründen? Haben viel losgemacht und Spaß gehabt. Und heute? Heute sind wir eine Institution, ein ganz lahmer Laden, wobei ich mich nicht ausnehme. Die Luft ist einfach raus. Ich habe das Gefühl, wir sind zu einem Kaninchenzüchterverein verkommen. Interview: Jens Rübsam

Ledertreffen: morgen, 20 Uhr, Osterparty in der Kulturbrauerei, Knaackstraße 97, mit DJ Mo und DJ Jens, Cruising-Areas und weiteren Überraschungen.

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