piwik no script img

Abreißen oder nicht?

„Brennpunkt Masterplan“ (Teil 5): Das „Kreuzberger Zentrum“ am Kottbusser Tor soll nicht länger Negativbeispiel verfehlter Sanierung sein  ■ Von Uwe Rada

Abreißen oder nicht? Werner Orlowsky fällt die Antwort auf diese Frage sichtlich schwer. „Eigentlich müßte das Ding weg“, sagt der ehemalige Kreuzberger Baustadtrat zögernd, „aber entscheidend ist, was die Mieter wollen.“ Zur Not müsse man das Gebäude eben modernisieren.

Das Ding, von dem Orlowsky spricht, hat fünf Aufgänge, zwölf Geschosse, 367 Wohnungen und heißt – als wäre es das selbstverständlichste der Welt – Neues Kreuzberger Zentrum (NKZ). Als eines der letzten Kahlschlagvorhaben im Sanierungsgebiet Kottbusser Tor zwischen 1969 und 1974 errichtet, ist das NKZ längst selbst zum Sanierungsfall geworden. Schon vor zehn Jahren, zur Zeit der Internationalen Bauausstellung, hatte der damalige Bausenator Georg Wittwer (CDU) feststellen müssen: „Ein Zentrum ist das nicht.“

Doch sämtliche Pläne zur Sanierung der Sanierungsarchitektur blieben Makulatur. Weder wurde der gewerbliche Vorbau samt Sportstudio und Baumarkt abgerissen. Noch ist die Dresdener Straße für den Fußgänger- und Fahrradverkehr geöffnet. Der Grund: Die private Eigentümergesellschaft des NKZ hat sich bislang gegen jedwede Veränderung gewehrt. Noch immer degradiert der sperrige Plattenriegel – im Volksmund Neues Kreuzberger KZ genannt – einen ganzen Kiez zum städtischen Hinterhof.

Abreißen oder nicht? Diese Frage haben sich auch die Masterplaner Dieter Hoffmann-Axthelm und Bernd Albers gestellt. Beantwortet haben sie sie allerdings nicht. Statt dessen haben sie ihr städtebauliches Wunschbild auf den bestehenden Stadtgrundriß gezeichnet. Demnach wird die vom NKZ gekappte Dresdener Straße wieder an das Kottbusser Tor angebunden. Die beiden Blöcke zur Reichenberger und zur Adalbertstraße sind schließlich mit einer massiven Bebauung bis zum Straßenrand des Tors eingezeichnet. Der östliche Riegel des NKZ, der über die Adalbertstraße ins Innere des Blocks 82 reicht, bleibt dagegen unangetastet.

Abreißen oder nicht? Erklärtes Ziel des Planwerks Innenstadt, beteuert Wolfgang Süchting, Stadtplaner im Hause des Stadtentwicklungssenators Peter Strieder (SPD), sei es, ohne Abrisse auszukommen. „Aber vielleicht“, fügt Süchting orakelnd hinzu, „fällt das NKZ ja eines Tages zusammen.“ Vielleicht gebe es Vermietungsprobleme oder Leerstand. Dann könnten, so Süchting, die stadträumlichen Bezüge am Kottbusser Tor wiederhergestellt werden.

Nur was tun, wenn das NKZ partout nicht zusammenfallen will? Was die Masterplaner mit ihrer Zeichnung immerhin suggerieren – nämlich den Eigentümern einen möglichen Abriß dadurch zu vergolden, daß man ihnen eine weitaus größere Neubaufläche zur Verfügung stellt – wird von Süchting entschieden dementiert. „Ob die Blöcke bis zum Kottbusser Tor gebaut werden“, sagt er, „ist bis jetzt noch nicht entschieden.“ Immerhin räumt Strieders Planer ein, daß es sich bei dem Vorschlag um eine „Provokation“ handle, wie das NKZ durch eine verträgliche Bebauung ersetzt werden könne.

Viel wichtiger, sagt Süchting, sei allerdings die Wiederanbindung der Dresdener Straße an das Kottbusser Tor. Hier könne man auch mit „geringen Eingriffen“, etwa einem Durchstich der Dresdener Straße unter der bestehenden Bebauung hindurch, eine „Verbesserung gegenüber der heutigen Situation“ erreichen. „Doch das“, hält Süchting weiter am großen Ziel fest, „ist noch lange nicht das, was wir wollen.“

Also doch Abriß und Neubau? Als Franz Schulz, der bündnisgrüne Bürgermeister von Kreuzberg, die rot gezeichnete Neubaufläche im Masterplan sah, hat er erst einmal herzlich gelacht. „Diese Vorstellungen sind nicht nur irreal, sondern abenteuerlich“, sagt Schulz, der das NKZ gerne auch „Eiger-Nordwand“ nennt. Für den Nachfolger von Peter Strieder im Rathaus Kreuzberg kommt eine Bebauung zum Kottbusser Tor hin nicht in Frage. „Wo wollen Sie denn dann noch einen Stadtplatz realisieren?“ fragt Schulz. Gerade der Markt vor dem NKZ sei sehr lebendig geworden und verkörpere auch ein Stück Kreuzberg. Dieser Stadtplatz, so Schulz, dürfe nicht bebaut, sondern müsse qualifiziert werden.

Ganz andere Sorgen hat Resul Egril. Der 28jährige Bauunternehmer wohnt seit zwölf Jahren im NKZ und fühlt sich eigentlich ganz wohl. Noch. Der geplanten Öffnung der Dresdener Straße kann er freilich nichts abgewinnen. Am liebsten würde Egril auf der Dresdener Straße eine Fußgängerzone sehen. Eine Öffnung der Straße für den Autoverkehr lehnt er – wie der Bezirk – entschieden ab.

Und der Senat? „Ob die Dresdener Straße auch für den Autoverkehr geöffnet werden soll, ist noch nicht entschieden“, wiederholt sich Strieders Planer Süchting. Am NKZ, so scheint es, löst das Planwerk Innenstadt – trotz der blockgenauen Zeichnung von Bebauungsflächen – seinen Anspruch, „Diskussionsentwurf“ zu sein, am ehesten ein. Und es zeigt am deutlichsten die Kluft zwischen der Bilderwelt der Masterplaner und der städtebaulichen Realität.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen