: Betont unbeholfener Zeichenkosmos
Vom „Jungen Wilden“ der Hamburger Schule zum Thronfolger der Malerfürsten Baselitz und Richter: Albert Oehlen malte Stalin-Porträts und Computerbilder. Jetzt werden seine Arbeiten in der Kunsthalle Basel ausgestellt ■ Von Roland Brockmann
Als ich Albert Oehlen zum erstenmal begegnete, gaben sich die jungen Männer gerne als Künstler aus. „Auch Anstreicher?“ fragte Oehlen angesichts der Farbreste an meinen Händen. Tatsächlich hatte ich nur den Fußboden lackiert. Doch wer in den Achtzigern nicht Gitarre spielte, fühlte sich zumindest zum Pinselquäler berufen. Malen war Mode. Unter dem Schlagwort „Junge Wilde“ glitten die Bilder wie geölt vom Tisch des Galeristen an die Wände von Werbern und Art-Direktoren, manch Maler kam kaum mit dem Pinseln nach.
Am Berliner Moritzplatz arbeiteten Rainer Fetting und Salomé an ihrer üppigen Malerei, in Köln wütete die Mülheimer Freiheit, und in Hamburg dominierten Werner Büttner und eben Albert Oehlen die Kunstszene. Tatsächlich hatte der Sozialstaatimpressionismus von Büttner wenig mit dem feuchtfröhlichen Neoexpressionismus aus Berlin gemein. Während Salomé und Fetting als farbgewaltige Stadtindianer ins Museum ritten und dabei nur das Klischee vom Bürgerschreck bestätigten, arbeitete sich die Gruppe Oehlen/ Büttner/Kippenberger gerade an dem Mythos des genialen Virtuosen in Ausstellungen wie etwa „Wahrheit ist Arbeit“ 1984 im Essener Folkwang-Museum ab.
Wer hat Angst vorm Guggenheim-Museum
Das stetige Bemühen um Erfolg reichte nie zum schnellen Ruhm. Die Plätze in Talkshows und Hochglanzillustrierten waren von den früh gehypten Malerstars besetzt, vielleicht gerade weil sie das dankbare Klischee vom Bohemien so prächtig bedienten. Und während zum Beispiel Salomé oder Fetting auf der documenta 1982 ausgestellt wurden, blieb der große Durchbruch Oehlen & Co. lange verwehrt, was sie mit selbstironischen Statements konterten: „We don't have any problems with Guggenheim Museum, because we can't say no, if we are not invited.“
Doch im Museum waren die wilden und sehr figürlichen Pinselhiebe der Moritzboys bald entschärft; rasch verschwanden die Bilder wieder in den Depots. Heute gießt Rainer Fetting für die Berliner SPD-Zentrale Willy Brandt in Bronze, von den meisten hört man gar nichts mehr. Und auch das einstige Dreigestirn zerfiel: Nachdem Werner Büttner als Professor an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste vor Anker gegangen ist und Martin Kippenberger im letzten Monat an Leberkrebs starb, nimmt nur noch Albert Oehlen aktiv am Kunstbetrieb teil. Auch Sammler wurden auf ihn aufmerksam: Sein lapidar „Selbstporträt mit verschissener Unterhose und Blauer Mauritius“ betiteltes Bild brachte den Aachener Fotografen Wilhelm Schürmann auf den Gedanken, eine Sammlung mit Kontextkunst anzulegen. Tatsächlich ist der 1954 in Krefeld geborene Oehlen der einzige, der sich auch malerisch weiterentwickelte; in seiner aktuellen Ausstellung in der Kunsthalle Basel zeigt Oehlen vor allem jüngste Arbeiten, die am Computer entstanden sind.
Das klingt nach virtual reality, Chaostheorie, künstlicher Intelligenz und Mandelbrotbäumen, kurz: nach perfekter Technik, die den menschlichen Geist ersetzt. Doch während andere die „phänomenalen“ Möglichkeiten des Computers zelebrieren, schlägt Oehlen seine Funken aus den Begrenztheiten des Mediums. Auch mit der warnenden Kritik an den Gefährlichkeiten moderner Computertechnologie hält er sich nicht auf. Wenn schon, gilt seine Beweisführung der Entlarvung vermeintlicher Omnipotenz des elektronischen Rechners: „Avancierteste Technik – reicht aber immer noch nicht. Da muß der Mensch noch mal reingreifen.“ Was kann einem der Computer beim Malen schon helfen? Wenige Funktionen gehen über Schere und Klebstoff hinaus. Oehlen: „Die großen Möglichkeiten des Computers liegen nicht in der Kunst, höchstens beim Fälschen.“
Ähnlich wie in den früheren Arbeiten, in denen Oehlen linkische Pinselführung und schmutzige Farben einsetzte, spielt er heute den Punk, der ein „lustiges Aasen mit den Möglichkeiten“ betreibt. In der untersten Schublade der High- Tech-Welt kritzelt Albert Oehlen mit der Maus auf dem Bildschirm herum. „Als ob es mit dem Buntstift gemalt ist.“ Bei ihm ist kein Zufallsgenerator am Werk, der Chef schafft noch selbst.
Die Arbeiten werden durch Siebdruck, Plotter oder per Hand auf die Leinwand übertragen. Gerade durch das simple Vorgehen gewinnen seine Bilder Witz und Reiz. Krickelkrakellinien, Farbnebel aus der elektronischen Sprühdose oder eingescannte Bildchen, ein betont unbeholfener Zeichenkosmos, der schließlich in die Wirklichkeit überführt wird. Indem er die beiden Welten ineinanderbringt, entsteht ein „Linienmonster“, das eigentlich in keiner der beiden Welten entstehen kann. Oehlen: „Etwas, was man noch nicht gesehen hat, und das deshalb irritieren muß.“ Zum Beispiel tritt eine Verwirrung der Zeitdimension auf, indem man merkt, daß das Resultat auf der Leinwand nicht so schnell oder so langsam entstanden sein kann. Was mit der Maus locker aus dem Handgelenk gelingt, erweist sich am wirklichen Bild als Aktionsradius, der über Armlängen hinausgeht.
Die Schönheit, ja sagen zu können
Mit den figürlichen Stalin-Porträts aus früheren Zeiten („Du sollst nicht soviel töten“) hat das nur noch wenig zu tun. Der Weg dorthin führte über eine „post-ungegenständliche“ Malerei, die auf dem Gedanken aufbaute, daß Malerei nicht Nichtabstraktion sein kann. Abstraktion in der Malerei hatte verschiedene Motive: formale, wie sie Wassily Kandinsky forderte, oder moralische etwa bei Wols. Irgendwann hat man das verstanden, so Oehlen, ohne daß man es negieren muß. Fortschritt? „Ich bin ja kein Gegner dieser Idee. Ich glaube, daß man Sachen begriffen hat, die nicht wieder geklärt werden müssen.“ Aber gelangt man durch abstraktere Malerei auf eine höhere Ebene? „Dahin gekommen zu sein, ist bestimmt ein Fortschritt. Aber auch, daß man sie jetzt nicht mehr braucht.“
Übrig bleibt eine Malerei, bei der das Denken aus den Formstrukturen spricht. Oehlen findet seinen Platz unter den wenigen Malern der Gegenwart, die „auf der Höhe dessen malen, was heutzutage an Verantwortlichkeit der Form denkbar ist“, wie es im Band 7 von „Kunst heute“ steht – jenseits der ausgelutschten Diskussion um Abstraktion/Figuration und Form/Inhalt.
Das Ziel ist Schönheit. Aber was ist das überhaupt? Für Albert Oehlen hat das Schöne keine bestimmten Eigenschaften, höchstens im Sinne von Schillers „Glanz der Wahrheit“: „Etwas schön finden heißt übereinstimmen. Heißt ja sagen zu einem Ausdruck.“ Statt mit in die Sackgasse des ewigen Abfeierns des Verschwindens der Kunst zu marschieren, sucht Oehlen den Ausweg im klassischen Medium Malerei: „Also die vorhandenen Mittel nehmen. Nicht experimentieren, sondern genau diese schöne, einfache Art nehmen, um etwas damit zu sagen. Du kannst nicht einfach Video machen, weil es schön ist, du mußt dir irgendein Lügengebäude dazu aufbauen, zum Beispiel, daß es alle erreicht. Wenn man Wirkung erzielen will, muß es ja im Genre Kunst geschehen. Erst wenn ich die formalen Anforderungen erfülle, kann ich wirken. Die Versuche, die Kunst zu profanisieren, funktionieren ja nur, wenn Kunst ins Spiel gebracht wird. Sonst greift der Witz ja gar nicht. Willst du irgendeinen Gegenstand als Kunstwerk haben, muß du es dazusagen. Aus diesen Überlegungen heraus habe ich die Form gewählt, die am allgemeinsten für Kunst steht. Ansonsten müßte man ja erst mal sein Material verteidigen, und diese Energie würde dann bei dem fehlen, was man eigentlich machen will.“
Zur neuen Idee fand Oehlen eher zufällig: „Ich war bei jemandem zu Hause, die hatten ein Bild gekauft. Dann kam der Sohn rein und sagte: ,Das sieht ja aus wie ausgekotzt von einer Lesbe.‘ Da dachte ich: interessante Assoziation. Kann man so was malen? Oder ein Begriff wie ,Geschmiere‘. So daß man es sieht als Geschmiere und nichts anderes wahrnimmt? Ich habe mich von Anfang an dagegen gesträubt, erst mal Schönmalen zu lernen. Daß sich Qualitäten addieren lassen, daran habe ich immer gezweifelt. Statt dessen wollte ich das Unvermögen auf einer bestimmten Ebene so einsetzen, daß das, was ich will, noch klarer zum Vorschein kommt.“
Der Betrachter soll vor allem gezwungen werden zu sehen, was der Maler meint. Bei den neuen Bildern hat man sofort die Assoziation: Computer. „Aber die nützt einem nicht viel. Das finde ich gut.“ Getreu dem Motto „Wahrheit ist Arbeit“ sucht Albert Oehlen kontinuierlich nach der Erprobung dessen, was in der Malerei möglich ist und was nicht.
Bis 25.5. im Kunstmuseum Basel. Katalog ca. 25 DM
Vom 12.4. bis 17.5. in der Galerie Max Hetzler, Berlin
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