: Die Nerven liegen blank
■ Die Brandanschläge ver- unsichern Deutschtürken
„Sie haben wieder verbrannt“, heißt es in den türkischen Zeitungen. Wer sind „sie“? Spielt es überhaupt noch eine Rolle, wer in Krefeld das Feuer an der Wohnungstür gelegt hat? Müssen wir nun detektivisch rätseln, ob es vielleicht pubertierende Hess-Verehrer aus dem Nachbarhaus waren oder doch irgendein hitzköpfiger Jungtürke, dem der Vater seine Tochter nicht geben wollte? Sollen Ethnologen befragt werden über einen möglichen Hintergrund dieser Tat, die alle selbstredend verabscheuen und verurteilen? Müssen wir nun Überlegungen anstellen, warum nur vor dieser einen Wohnung Feuer gelegt wurde und nicht auch vor anderen Türen desselben Hochhauses, obwohl dahinter auch jede Menge Türken leben? Müssen wir ehrlicherweise erwähnen, daß die PKK noch nie im dritten Stockwerk eines Wohnhauses Feuer gelegt hat, und das, obgleich das Newroz-Fest (kurdisches Neujahrsfest) längst vorbei ist?
Wir wissen genau, wer die Brände in Mölln und Solingen gelegt hat, in Bremen, Hannover, Hattingen und anderen deutschen Städten. Wir wissen um das geistige Klima, das die Täter treibt. Wir fühlen genau, wie sich der Himmel über Europa gründlich zu verdunkeln beginnt für alle unerwünschten Eindringlinge aus dem armen Süden, egal wie lange sie schon hier sein mögen.
Die Nachrichten über Brandanschläge sind nicht mehr zu ertragen. Ebensowenig die Nachrichten über Le Pens Pläne von einem ausländerfreien Frankreich, über Haiders Macht in der österreichischen Politik, über die endlosen Debatten im Zusammenhang mit dem Staatsbürgerrecht, über Aussagen Kanthers von Deutschland als keinem Einwanderungsland, Nachrichten über das Kindervisum und Rechnungen über vier Millionen Arbeitslose gegen sieben Millionen Ausländer, ja Nachrichten über versunkene Flüchtlingsschiffe vor der Küste des gelobten Europa – all das ist schlicht und einfach unerträglich geworden.
Sie haben wieder verbrannt – wer die Täter sind, spielt für die Opfer keine Rolle mehr. Für uns auch nicht. Die Nachrichten von Bränden in Häusern, in denen „Schwarzköpfe“ wie wir leben, zehren verdammt an unseren Nerven. Und die liegen jetzt schon blank.
Dilek Zaptçioglu
Bericht Seite 4
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