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Im Zweifel für den Angeklagten

■ Angeklagter vom Vorwurf des Mordversuchs an einer Polizistin am 3. Oktober 1990 freigesprochen. Gericht: "Es bleibt ein überwältigender Tatverdacht"

Es stand auf Messers Schneide, aber am Ende schlug das Zünglein an der Waage zugunsten des Angeklagten aus. Der 31jährige Schotte Alan C. wurde vorgestern vom Landgericht vom Vorwurf des versuchten Mordes an einer Polizistin freigesprochen. Bei den Krawallen nach der Anti-Einheits-Demo am 3. Oktober 1990 am Alexanderplatz sollte er eine junge Beamtin von hinten mit einer langen Zeltstange niedergeschlagen haben. Im Gegensatz zur Staatsanwältin, die fünf Jahre und sechs Monate Haft gefordert hatte, war das Gericht nach mehrwöchiger Verhandlung nicht hundertprozentig von der Schuld des Angeklagten überzeugt. „Es verbleibt ein überwältigender Tatverdacht, aber ein letzter kleiner Zweifel hat die Kammer an der Verurteilung gehindert“, sagte der Vorsitzende Richter Friedrich-Karl Föhrig der taz.

Die Entscheidung des Kammergerichts, den Prozeß der 35. Strafkammer im Vorfeld zu entziehen und bei der 36. Kammer anzuordnen, erwies sich für Alan C. somit als großes Glück. Denn längst nicht alle Richter nehmen den Rechtsgrundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ so genau wie Föhrig und seine Beisitzer in diesem Fall. Der Schotte war im Januar 1996, fünf Jahre nach der Tat, in Amsterdam festgenommen und nach Deutschland ausgeliefert worden. Im Prozeß schwieg er. Die Anklage war auf mehrere Säulen gestützt: auf einen Videofilm einer Stasikamera am Alex, der den Vorfall aber nur winzig klein zeigt; auf das stark vergrößerte und dadurch recht unscharfe Foto eines Pressefotografen, das später auch als Vorlage für das Fahndungsfoto diente; auf die Aussagen mehrerer Polizeizeugen sowie auf die Bekundungen von zwei holländischen V-Leuten.

Daß die bei ihren Aussagen teilweise sehr unsicher wirkenden Polizisten Alan C. als Täter identifizierten, reichte dem Gericht als Grundlage für eine Verurteilung nicht aus. Ebensowenig das Fahndungsfoto. Das Bild sehe dem Angeklagten zwar „außergewöhnlich ähnlich“, konstatierte Föhrig. Aber das Gericht hatte Alan C. nicht eindeutig als den Mann auf dem Bild identifizieren können. Nach der Veröffentlichung des Fahndungsfotos waren bei der Kripo seinerzeit über hundert Hinweise eingegangen. Einer kam von einer Frau aus Rostock, die sich absolut sicher war, es handele sich bei dem Abgelichteten um ihren Verlobten. „Wir haben uns nicht auf den Standpunkt gestellt, bei der Identifizierung besser zu sein als andere“, sagte der Vorsitzende.

Folglich bleiben nur noch die holländischen V-Leute übrig. Gegenüber der niederländischen Kripo hatten diese ausgesagt, Alan C. gehöre zum militanten, reiselustigen Kern der Amsterdamer Besetzerszene. Er habe sich in Holland sowohl mit der Tat gebrüstet als auch sein eigenes Fahndungsplakat in der Wohnung hängen gehabt. Weil die niederländischen Behörden die V-Leute aber nicht freigaben, konnte sich die 36. Strafkammer keinen persönlichen Eindruck von deren Glaubwürdigkeit machen.

Das Urteil allein auf diese Zeugen „vom Hörensagen“ zu stützen kam laut Föhrig aufgrund der hohen Anforderungen des Bundesgerichtshofes in einem solchen Fall nicht in Betracht. Alan C. bekam für 15 Monate U-Haft eine Entschädigung zugesprochen. Plutonia Plarre

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