: EU-Kontroverse um China-Resolution
Deutschland will bei Tagung der UNO-Menschenrechtskommission jetzt ebenfalls auf eine Resolution zur Verurteilung Chinas verzichten. Kanzler Kohl setzt sich über Kinkel hinweg ■ Aus Genf Andreas Zumach
Die Bundesregierung hat den gestrigen Bericht der taz bestätigt, wonach auch Deutschland gegen die Einbringung einer gemeinsamen China-Resolution der EU bei der UNO-Menschenrechtskommission ist. Nach Informationen der taz ist diese Entscheidung im Kanzleramt gefallen und Außenminister Klaus Kinkel nicht konsultiert worden. Auf Anfrage erklärte der stellvertretende Bonner Regierungssprecher Schmülling: „Die Bundesrepublik Deutschland unterstützt im Grundsatz zusammen mit Italien und Spanien den Ansatz der französischen Regierung, Verbesserungen in allererster Linie auf dem Weg des Dialogs zu erreichen.“
Die SprecherInnen des Außenministeriums, das eigentlich für die Delegation der Bundesrepublik bei der UNO-Kommission zuständig ist, sind seit Mittwoch nachmittag nicht mehr befugt, zu der Angelegenheit Stellung zu nehmen. Sie können nur noch auf die Äußerung Schmüllings verweisen. Ihr oberster Chef Kinkel ist bei der Entscheidung von Bundeskanzler Kohl ganz offensichtlich übergangen worden. Beim Treffen der 15 EU-Außenminister am vorletzten Montag (24. März) hatte Kinkel seinem niederländischen Amtskollegen van Mierlo, dem derzeitigen EU-Ratspräsidenten, acht Fragen zur Menschenrechtssituation in China vorgelegt. Von der Beantwortung dieser Fragen mache die Bundesregierung ihre Entscheidung über die Einbringung einer China-Resolution abhängig, erklärte Kinkel damals. Van Mierlos Antwort erfolgte innerhalb von 48 Stunden und war eindeutig. Es gebe seit der letzten Sitzung der UNO-Kommission im Frühjahr 1996 keine Verbesserungen der Menschenrechtslage in China. Auch habe die Pekinger Regierung ihre Zusagen vom letzten Jahr, die beiden UNO-Konventionen über soziale und politische Menschenrechte zu unterzeichneen, nicht erfüllt. Daher gebe es für die EU keinen Anlaß, in Genf auf die Einbringung einer China- Resolution zu verzichten.
Am Donnerstag letzter Woche erhielt van Mierlo einen Anruf aus Bonn mit der für ihn völlig überraschenden Mitteilung, daß Deutschland trotz dieser eindeutigen Beantwortung von Kinkels acht Fragen Bedenken dagegen habe, auf der Tagung der UNO-Menschenrechtskommission eine China-Resolution der EU einzubringen. Der Anruf kam aus dem Kanzleramt. Außenminister Kinkel, der sich zu der Zeit noch in der Türkei befand, wurde nach Informationen der taz nicht konsultiert.
Am Ostermontag morgen übermittelte van Mierlo seinen 14 Amtskollegen dann das Schreiben mit der Ankündigung, die Niederlande würden in Genf keine der bislang geplanten Länderresolutionen zu Iran, Irak, Zaire, Birma sowie eventuell zu Ost-Timor im Namen der EU einbringen, wenn keine EU-Resolution zu China zustande kommt. Van Mierlo sieht in der Entwicklung der EU-internen China-Diskussion einen „ernsthaften Rückschlag für die Perspektiven einer gemeinsamen Außenpolitik der Union“. Die „Substanz der Menschenrechtspolitik der EU“ stehe auf dem Spiel, schreibt der EU-Ratsvorsitzende an seine Kollegen. Van Mierlo ist zutiefst davon überzeugt, daß die Abkehr von der bisherigen Menschenrechtspolitik gegenüber China auch die Glaubwürdigkeit der EU- Politik gegenüber anderen Staaten beeinträchtigt. Die Frist für die Einbringung von Länderresolutionen läuft am Mittwoch ab.
Letzte Möglichkeit für die Einigung auf eine EU-Resolution böte das Treffen der 15 Außenminister am Sonntag. Doch hier ist eher mit einer Konfrontation zu rechnen. Frankreich, dessen Außenminister Charette gestern auf van Mierlos Schreiben antwortete, hat angekündigt, es werde die Teilniederlegung von EU-Präsidentschaftsfunktionen durch die Niederlande als Verstoß gegen den Vertrag von Maastricht verurteilen und die Regierung in Den Haag zur Rücknahme dieses Schrittes auffordern. Doch dazu sind die Niederlande derzeit nicht bereit.
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