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Drogentherapien - rührend und wirkungslos?

■ Therapiegläubigkeit macht den Junkies das Leben schwer und ist ein Klotz am Bein der Drogenpolitik - sagt ein Bremer Autor

Binnen 48 Stunden starben an einem Wochenende Mitte Januar in Bremen fünf Heroinabhängige an einer Überdosis. In den folgenden Wochen machte die Diskussion um die kontrollierte Abgabe von Heroin bundesweit Schlagzeilen. Während Hamburgs Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) vehement für ein Modellversuch zur kontrollierten Heroinabgabe kämpft, fordert Eduard Lintner (CSU), der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, eine Zwangstherapie für Junkies. Kaum waren Gegner und Befürworter verstummt, wurde die Zahl der Drogentoten bekanntgegeben: 1.712 Menschen sind 1995 in Deutschland am Mißbrauch von Drogen gestorben. Fast zehn Prozent mehr als im Vorjahr. In Bremen ist die Zahl der Drogentoten sogar um über 15 Prozent gestiegen. 1995 starben im Land Bremen 51 Menschen (vier in Bremerhaven) an einer Überdosis. 1996 waren es 61 (sechs in Bremerhaven). Die Drogentherapie gehört auf den Prüfstand, sagt der Bremer Autor Torsten Schmidt. Die Therapiegläubigkeit von PolitikerInnen, JuristInnen und TherapeutInnen erschwere den Junkies den Ausstieg unnötig. In seinem Buch: „Ich habe es ohne Therapie geschafft“hat Schmidt, der in Amsterdam als Streetworker gearbeitet hat, Junkies interviewt, die es ohne Therapie geschafft haben, von ihrer Drogensucht loszukommen.

Herr Schmidt, in Ihrem Buch werden neun Ex-Junkies interviewt, die ohne Therapie von der Droge losgekommen sind. Wie die Selbstheilung funktioniert, verraten Sie dem Leser allerdings nicht.

Das ist ein Einwand, den ich schon oft gehört habe. Gibt es nicht irgendwelche Gemeinsamkeiten? Was können wir tun, damit die Leute selbst aussteigen? Auf diese Fragen muß ich ganz klar sagen, nein, ein solches Programm wird man nicht entwickeln können. Man kann nur günstige Voraussetzungen schaffen, damit die Leute aussteigen können. Und das ist das einzige, was man tun kann.

Kann man sagen, wann Junkies aussteigen?

Nein, ein Muster ist nicht erkennbar. Es sind nicht zwangsläufig dramatische Erfahrungen, die einen Junkie dazu bewegen auszusteigen. Und es kann nicht deutlich genug gesagt werden, es ist nicht ausschließlich die Verelendung in der Drogenszene, die zum Ausstieg motiviert. Mitunter steht der Ausstieg aus der Szene einfach am Ende eines Reifungsprozesses.

Sie sagten, man muß günstige Voraussetzungen schaffen, um den Junkies den Ausstieg zu erleichtern. Wie sollen diese Voraussetzungen aussehen? In Ihrem Buch prangern Sie die Therapie-gläubigkeit von PolitikerInnen, RichterInnen und SozialarbeiterInnen an. Die Haltung, ohne Therapie keine Heilung, sei ein Irrglaube, der den Junkies den Ausstieg erschwert.

Diese Meinung prägt das Bild der Drogenabhängigen. Die Leute, die z.B. auf der Sielwallkreuzung sitzen und deren Elend sichtbar ist, das sind in den Köpfen der Leute „die Junkies“.

Sind sie es denn nicht?

Doch, aber neben dieser öffentlichen Szene gibt es noch eine private Szene. Diese Leute treten nicht in Erscheinung. Sie konsumieren über Jahre hinweg illegale Drogen, wie Heroin oder Kokain, verdienen das Geld für ihre Drogensucht in bürgerlichen Berufen. Sie führen eine normale bürgerliche Existenz. Aller Wahrscheinlichkeit ist das sogar der größere Teil der Drogenabhängigen.

Das klingt, als wollten Sie die Drogensucht verniedlichen. Drogensucht ist gar nicht so schlimm, wenn man es richtig anstellt.

Das habe ich nicht gesagt. Aber, wenn in der Drogenpolitik etwas geändert werden soll, muß man der Tatsache ins Auge sehen, daß der hilflose Junkie, der nur nach dem nächsten Druck jibbert, nur ein negatives Klischee ist. Das Bundeskriminalamt geht in seinen Statistiken davon aus, daß die private Szene mindestens 50 Prozent beträgt.

Und was ist daran schlimm, wenn man den Leuten die Verelendung vor Augen führt, die mit der Drogensucht einhergeht?

Wenn diese Strategie funktionieren würde, hätten wir kein Drogenproblem mehr. Man hat in den letzten Jahren versucht, die Leute mit dem Argument der Verelendung vom Drogenkonsum abzuhalten. Es hat nicht geklappt. Ich glaube, es wäre vernünftiger, umfassendere Informationen zu geben. Also nicht dieses einseitige, negative Bild aufrechtzuerhalten. Man darf natürlich auch nicht verschweigen, daß Heroin eine Droge ist, die schwer zu beherrschen ist. Drogenabhängige erzählen oft, daß sie am Anfang ihrer Drogenkarriere sehr positive Erfahrungen mit der Droge gemacht haben. Das negative Bild, das ihnen zuvor vermittelt worden ist, konnten sie nicht wiederfinden. Darin zeigt sich die Gefährlichkeit der Desinformation. Die Leute überschätzen sich.

Die Zahlen über die Rückfälligkeit von ehemaligen Drogenabhändigen sind sehr unterschiedlich. Einige Untersuchungen gehen davon aus, daß 95 Prozent der Drogenabhängigen trotz Therapie rückfällig werden. In Ihrem Buch wird eine Untersuchung zitiert, die belegt, daß knapp 27 Prozent der Leute nach einem Jahr immer noch clean sind. Was stimmt?

Das weiß keiner genau. Mit den Zahlen in der Drogenarbeit wird Politik gemacht. Dabei muß man ganz ehrlich sagen: Wir wissen weder, wieviele Drogenabhängige es gibt, noch wissen wir genau, welche Effekte die Therapien haben. Die Therapieeinrichtungen halten ihre Zahlen unter Verschluß. Die positivste Zahl, die ich herausbekommen habe, ist eine Stabilität von 35 Prozent nach der Therapie. Das sind allerdings Leute, die die Therapie bis zum Schluß durchgehalten haben. Es gibt sehr viele Abbrecher. Insofern sind diese Therapiezahlen sehr deprimierend. Ein Querschnitt von internationalen Untersuchungen geht davon aus, daß ein Drittel der Drogenabhängigen nach zehn Jahren wieder drogenfrei sind. Ein Drittel konsumiert kontrolliert, und ein Drittel ist verelendigt oder verstorben.

Und was ziehen Sie daraus für Konsequenzen? Therapie nützt nichts, wir legen die Hände in den Schoß und warten ab, ob die Junkies es alleine schaffen?

Nein. Therapien sind trotzdem notwenig. Man kann sich nicht auf den Selbstheilungseffekt verlassen. Aber es heißt auch, daß die Drogenbiographien nicht alle so negativ verlaufen, wie das immer dargestellt wird.

Für keinen der Befragten in Ihrem Buch war die Therapie der Grund auszusteigen. Ein Ex-Junie geht sogar soweit, zu sagen, Therapeuten seien Leute, die einmal Hasch geraucht hätten und auf Grund dessen glaubten, sie könnten Drogenabhängige kurieren.

Leute, die ihren Weg selbst aus der Drogenabhängigkeit alleine geschafft haben, sehen das natürlich häufig so. Ich will nicht mißverstanden werden. Das Buch ist kein Buch gegen Therapie. Es gibt mit Sicherheit auch Leute, denen die Therapien helfen. Das Problem in Deutschland ist nur, daß man so sehr auf diese Therapie fixiert ist.

Das werfen Sie in Ihrem Buch vor allen den RichterInnen vor, die Junkies dazu zwingen würden, sich auf eine Therapie einzulassen, wenn sie nicht in den Knast wollen. Was sollen RichterInnen denn sonst machen?

Das ist genau mein Angriffspunkt. Das Betäubungsmittelgesetz sieht nur diese beiden Alternativen vor.

Welche Alternativen gibt es?

Die Alternative müßte einen Schritt vorher ansetzen. Man muß aufhören, die Leute so stark zu kriminalisieren.

Werden der Drogensucht und der Dealerei damit nicht Tor und Tür geöffnet?

Tor und Tür sind bereits geöffnet. Es geht jetzt darum, daß Drogenkonsumenten ihre Abhängigkeit einigermaßen gesund überleben können. Man muß sich damit abfinden, daß eine Abhängigkeit nun mal eine lange Zeit dauert. Aber nach dieser Zeit müssen die Ex-Drogenabhängigen gesund sein und keine unlösbaren juristischen Probleme haben. Sie müssen also eine Chance haben, am Ende ihrer Drogenkarriere in ein normales Leben zurückzukehren. Im Moment haben sie das nicht.

Wenn Drogenkonsumenten nicht mehr kriminalisiert werden, was ist dann mit den Dealern?

Der Trennstrich ist in der Tat schwer zu ziehen. Also ich denke, wenn man sich dazu entschließt, die Drogenkonsumenten nicht mehr zu kriminalisieren, dann ist es nur konsequent, sich Gedanken darüber zu machen, woher die Leute ihre Drogen bekommen. Das ist natürlich ein großes juristischen Problem. Man kommt also nicht umhin, über die kontrollierte Abgabe von Heroin nachzudenken. Innerhalb dieser Diskussion ist die Tatsache, daß User ihren Konsum auch wieder von alleine stoppen, ein wichtiges Argument.

Aber hat die kontrollierte Abgabe von Heroin nicht auch Signalwirkung. So schlimm kann die Heroinsucht ja gar nicht sein, wenn es den Stoff sogar bei Vater Staat gibt?

Wer an die Droge will, bekommt sie auch. Außerdem sind diese Programme nur für Leute konzipiert, die ohnehin abhängig sind. Die Programme haben noch einen anderen Vorteil. Der Stoff wird in reiner Form verabreicht und führt nicht zur Verelendung.

In England soll die Zahl der Drogenabhängigen durch die kontrollierte Abgabe von Heroin um das Doppelte gestiegen sein.

Das ist mir nicht bekannt. Ich kann mir auch nicht vorstellen, warum eine Heroinsubstitution zu einer Erhöhung der Drogenabhängigen führen sollte. Es wird immer Leute geben, die diese Droge nehmen. Und es wird immer Leute geben, die mit dieser Droge nicht umgehen können. Es geht in der Drogenpolitik nur um die Leute, die durch die Kriminalisierung wenig Chancen haben, Wege aus der Abhängigkeit zu finden. In Holland werden gerade Programme entwickelt, wie man Leuten den kontrollierten Umgang mit Heroin beibringt. Das ist zumindest ein Zwischenschritt zwischen Abstinenz-Therapien und diesen Überlebenshilfen. Man gesteht sich ein, daß man es nicht ändern kann, daß die Leute Heroin nehmen und man hilft ihnen, nicht zu verelenden.

Interview: Kerstin Schneider

Torsten Schmidt: „Ich habe es ohne Therapie geschafft! Aussteiger aus der Drogenszene berichten. - Rasch und Röhring, 1996.

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