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Schlürfen erlaubt

■ Mitten in Amsterdam unterhalten zwei Schnapsbrenner eine dreihundert Jahre alte Kneipe mit ungewöhnlichen Sitten

Die junge Frau neigt sich tief über das Schnapsglas, das vor ihr auf der tischhohen Theke steht. Geräuschvoll schlürft sie einen großen Schluck jungen Genever. „Das ist so üblich hier“, erklärt der Barkeeper, der ihr Gläschen gestrichen voll geschenkt hat, „für den ersten Schluck muß man sich bücken.“ Diese „Verbeugung vor einem guten Getränk“, wie die Mitarbeiter der Kneipe sagen, hat im „Proeflokaal“ eine lange Tradition. Sie geht zurück auf Wynand Fockink, der 1680 in einer schmalen Gasse im Herzen von Amsterdam, keine 200 Meter vom Königlichen Palast entfernt, eine Schnapsbrennerei gründete.

Wie damals üblich war der „Distilleerderij“ eine kleine Probierstube, ein Proeflokaal, angeschlossen. „Dort konnten die Leute probieren, welchen Schnaps sie kaufen wollten“, erklärt Will van Rooy, der seit zwei Jahren im „Proeflokaal“ arbeitet. Alte Meßbecher hängen noch heute in der nahezu spartanisch eingerichteten Kneipe.

Der ganze Raum mißt etwa 30 Quadratmeter. Rings an den Wänden erstrecken sich deckenhohe Regalbretter, in denen bauchige, verstaubte, teilweise handbemalte Flaschen von der Vergangenheit künden. Nur ein einziges Möbelstück steht im Proeflokaal – der etwa drei Meter lange Thekentisch. Pure Getränke und verschiedene „Mengsel“ – Mischungen – werden dort ausgeschenkt.

„Wenn jemand fragt, was ich empfehlen kann, schlage ich immer eine ,Boswandeling‘ vor“, erzählt der Barkeeper. Das Getränk bestehe zu je einem Drittel aus jungem Genever, Kräuterlikör und Orangenbitter. „Boswandeling“ heißt übersetzt „Waldspaziergang“. Woher der Name kommt, weiß er nicht. Aber er warnt lachend: „Drei Waldspaziergänge sind gefährlich!“

Das Sortiment umfaßt zudem vierzig verschiedene Liköre, elf Biere, acht Weine, zwölf alkoholfreie Getränke und rund dreißig Schnäpse, darunter fünfzehn Genever. „Wir pflegen hier noch eine spezielle Genever-Tradition“, berichtet der Barmann. „Ein Glas darf immer nur mit Genever aus einer Flasche gefüllt werden. Wenn die Flasche leer wird, bevor das Glas voll ist, kann der Gast es kostenlos austrinken. Bezahlen muß er dann erst das volle Glas, das wir ihm aus der neuen Flasche einschenken.“ Natürlich achteten gerade die Stammgäste aus Amsterdam darauf, daß die Traditionen eingehalten werden.

Das gilt auch für die Verbeugung vor dem guten Getränk. Nachdem der Barmann die Gläser erneut randvoll gegossen hat, beugen sich die Gäste traditionsbewußt nieder, um lautstark einen großen Schluck zu schlürfen. Iris Treiber

„Proeflokaal“ von Jaros Janssens und Jan Galesloot, Pijlsteeg 37-41, Amsterdam-Mitte, tägl. ab 15 Uhr

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