: Kleine Brände kurz gelöscht
■ Albanien – noch immer keine EU-Außenpolitik
Gott sei Dank hat es einmal ein Kolonialsystem gegeben. Eine gemeinsame europäische Außenpolitik existiert nicht – so ist es wenigstens möglich, die Verantwortung für kleinere oder größere Flächenbrände der jeweiligen ehemaligen Kolonialmacht zuzuschieben.
Diese, motiviert durch fortdauernde Interessen und/oder schlechtes Gewissen, beißt in den sauren Apfel, schickt Truppen, Nahrung etc. und sorgt, möglichst mit einem UNO-Mandat versehen, für die Verewigung der Zustände, zu deren Urhebern sie einst gehört hatte. In Albanien sollen jetzt die Ialiener als ehemalige Kolonialmacht unter internationalem Schirm die Sache richten. Schade nur, daß die italienische gar keine echte, handfeste Kolonialherrschaft war. So etwas wird allseitig nicht akzeptiert, wie die jüngsten Reaktionen zeigen.
Eine Alternative zu solchen bequemen europäischen Ausflüchten wäre eine OSZE-Mission. Ihr obläge in erster Linie Aufbauarbeit. Der Schutz der Transporte, Hilfsgüter, der eigenen Leute wäre notwendiges Nebenprodukt. Von einer solchen Bestimmung ist das gegenwärtige Mandat für Albanien ziemlich weit entfernt, aber eine „Umwidmung“ scheint nicht ausgeschlossen. Die Bundesregierung hat eine Beteiligung zuerst mit dem Argument abgelehnt, der Auftrag der Intervention sei nicht klar. Jetzt, wo das Mandat des Sicherheitsrats vorliegt, hat sie es nicht für nötig befunden, sich auch nur zu erklären. Will man sich – beispielsweise – an der Reorganisation von Polizei und Verwaltung Albaniens beteiligen? Keine Antwort ist auch eine.
Nach der bosnischen Katastrophe, die auch eine der Europäer war, gingen die westeuropäischen Mächte in sich. Jetzt wird, anläßlich der Regierungskonferenz der EU, bürokratische Kästchenschieberei und Girlandendrapierung als mutiger Schritt zu einer gemeinsamen Außenpolitik ausgegeben. Wäre nicht so tragisch, wenn nicht so viele Schicksale daran hingen, daß gehandelt, sprich: geholfen wird. Tadeln wir nicht die Brüsseler Diplomaten. Sie ziehen nur die Konseqenz aus der auseinanderdriftenden Politik der Nationalstaaten. Noch einmal: Gemeinsame, menschenrechtsorientierte Außenpolitik – vergeßt sie. Christian Semler
Tagesthema Seite 3
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