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Langsam, aber sicher knallen die Äxte

Hauchzart berlinernd zwischen Boulevard, Grips-Theater und „Genosse Münchhausen“: In Thomas Langhoffs Inszenierung von Botho Strauß' „Ithaka“ am Deutschen Theater bleibt der Erzähler auf verlorenem Posten  ■ Von Mariam Niroumand

Die Erstaufführung in München war ohne Skandal über die Bühne gegangen. „Ithaka“ unter der Regie von Dieter Dorn hatte allen, die darin eine paukenschlagende neoromantische Restauration sehen wollten, ein Schnippchen geschlagen und die Heimkehr des Odysseus als Ur-Slapstick mit Pallas Athene als plateaubesohltem Spice Girl und Penelope als uffjedunsener Riesenkrake inszeniert.

Es war so harmlos, daß Karl Heinz Bohrer, der sich um seinen Schauder gebracht sah, im Merkur konstatierte, Strauß habe sich wohl von der kulturellen Sittenpolizei einschüchtern lassen, die ihm seit Sie-wissen-schon-welchem-Artikel konstant auf den Fersen blieb. Statt „jeden einzelnen Tötungsvorgang künstlich zu dehnen, wobei ein Sprecher die wunderbar- furchtbaren Worte zum Tode des je Sterbenden gesprochen hätte“, so Bohrer, blieben hier die „eigentlich emphatisch blutigen Szenen nachdrücklich blutleer, das heißt nichtssagend“.

In der Tat war Strauß, der bis dahin den Mythos in seine Gegenwartsfarcen hineinkopiert hatte, nun dazu übergegangen, dem Urtext einen Hauch von Boulevard zu verleihen. Der rhapsodische Ton der Vorlage wurde zum Teil sogar Grips-Theater-tauglich modernisiert. „Bleib da, du Memme“, heißt es da forsch oder: „Welch einen Hintern zeigt uns der Alte da unter den Lumpen“. Strauß vergleicht natürlich trotzdem die Erzählung über einen, der nach zwanzig Jahren als Bettler nach Hause kommt und dort zunächst mit Völlerei und demokratelnder Dekadenz aufzuräumen hat, mit der eigenen Lage: „Der Erzähler wird, wenn auch auf verlorenem Posten, bis zuletzt dem Zeitpfeil trotzen und den Schild der Poesie gegen ihn erheben.“

Damit war Thomas Langhoff, der das Stück nun am Deutschen Theater in Berlin inszenierte, in einer denkbar pikanten Lage: Weder konnte er schlicht eine weitere Komödie aus dem Hut zaubern, noch konnte er den Straußschen Klageton des Dichters aus dem Kellerloch nachplappern lassen. Da hat er sich für den Mittelweg entschieden, und das sogar symmetrisch: Bis zur Pause Komödie, danach Drama.

Gespielt wurde auf geschichtsphilosophisch angeschrägter, eisig- blauer Fläche, auf die sich mitunter ein Kubus mit dem Schlafzimmer der dicken Penelope pflanzte (Bühne: Karl Ernst Hermann). Die fragmentierten Frauen der Vorlage — ein Knie, ein Schlüsselbein und ein Handgelenk, die wie die Reste der Lenin-Statuen von den alten Göttern übriggeblieben sind, bilden hier als schwarze Cat- women den Chor, der uns Penelopes Monströsität als Trauerfassade erklärt („Alles an ihr ist rein. Nur die Entbehrung selbst wird ihr zur finsteren Passion“). Dagmar Menzel keift die Freier, die sie umlagern, ohne sie zu lieben, aus fuchsrotem Haarnest an, nur um zur Nacht die Dunlop-Reifen abzulegen und schlank im Schlaf zu erstarren. Derweilen betritt Odysseus, wie Dieter Menzel ihn sieht, als abgekämpfter Schlawiner die Hütte seines treuen Schweinhirten Eumaios (Udo Krischwald), mit dem er, hauchzart berlinernd, am Bühnenrand zecht. Sind das nicht Wolfgang Neuss und Peer Schmidt in „Genosse Münchhausen“?

Während sie in einfaches, lehmfarbenes Tuch gehüllt sind, gehen die verschmockten Freier in Weiß, Gigolos, die sich als Gauleiter anschwuchteln, Odysseus längst für Geschichte halten und Mordpläne gegen seinen Sohn Telemach (Guntram Brattia) hegen, der Langhoff wohl nicht weiter interessiert hat, was schade ist. In seinem Buch über den Ursprung des Erzählens macht der Literaturwissenschaftler Jürgen Manthey nämlich plausibel, letztlich seien die Irrfahrten des Odysseus nur ein Deckname für die Initiation des Telemach, der genauso alt ist wie diese Reisen gedauert haben, und der nun kurz vor seinem Eintritt in die Macht steht. May the force be with you!

Die Sache frißt sich dann so vorwärts. Man hat die Verkommenheit der Lage erkannt, brav kapiert, daß nun die Rache fällig ist, hat schon auf „Snoozing“ gestellt, da knallen langsam, aber sicher die Äxte, hängen die untreuen Mägde kopfüber, fliegen die Pfeile und rinnt das Blut. So richtig aufwecken sollte einen das aber wohl nicht, denn rasch werden die Olivenbäumchen vom Himmel gelassen, die zum großen Friedensschluß umstellen sollen. Wenigstens schlingt Penelope zum guten Ende noch ein kesses Knie um ihren Göttergatten.

Ithaka“ von Botho Strauß. Regie: Thomas Langhoff. Mit: Dagmar Manzel, Dieter Mann u. a. Nächste Vorstellungen am 8., 9. und 16. April, Deutsches Theater Berlin

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