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Vom Leben in einer geteilten Stadt

Belgrad forciert die Ansiedlung serbischer Flüchtlinge in Priština, der Hauptstadt des Kosovo. Die Albaner reagieren mit passivem Widerstand. Doch die Gefahr bewaffneter Konflikte wächst  ■ Aus Priština Erich Rathfelder

Durchdringend ist der Zischlaut, der aus einer Gruppe von herumstehenden Männern herüberdringt. „Stopp hier, das ist die Grenze!“ ruft einer. Es sind Serben, die unvorsichtige serbische Passanten warnen wollen. Einige Schritte weiter beginnt das Gassengewirr des Basars von Priština, der Hauptstadt der zwischen Serben und Albanern umstrittenen Provinz Kosovo. Und dort sind während dieser Abendstunden nur Albaner anzutreffen.

Priština ist zu einer geteilten Stadt geworden. Unsichtbar ist die Mauer, die Menschen und Territorien trennt. Doch weiß jeder, wo sie sich befindet. Das moderne Viertel um die Universität, das Grand Hotel und die Bürotürme an der Hauptstraße ist eindeutig von Serben beherrscht. In neuen Wohnblocks sind Tausende von serbischen Flüchtlingen aus dem Norden, aus der kroatischen Krajina, untergebracht. Sie beleben die Straßen und haben die Cafés im Zentrum fest im Griff.

Das Leben sei leichter, sagt ein junger einheimischer Serbe, der sich freut, daß über 22.000 seiner Landsleute jetzt hier leben. 1992, erinnert er sich, seien noch viele Serben aus dem Kosovo abgewandert. „Wir waren zu einer kleinen Minderheit unter fast zwei Millionen Albanern geworden.“ Doch seither habe sich das Blatt gewendet. Jeder neuangekommenen Familie würden eine Wohnung und eine Arbeitsstelle zugewiesen. „Für die Flüchtlinge beginnt hier ein neues Leben.“

Nenad K. trauert seinem Weingarten nach, den er einst „daheim“, in dem Hochtal zwischen Drniš und Knin besessen hatte. Als Kämpfer der serbischen Krajina- Armee hatte er am 6. August 1995 angesichts der anrückenden kroatischen Armee den Treck der serbischen Flüchtlinge gedeckt. „Alles ging so schnell“, sagt er, er habe nicht einmal die wichtigsten persönlichen Sachen mitnehmen können. Immerhin gelang es ihm schon 1993, seine Frau mit den drei Kindern zu Verwandten nach Belgrad zu schicken. Doch die Enge der Wohnung führte zu Streit. „Als uns im Herbst 1995 eine Wohnung in Priština angeboten wurde, haben wir zugegriffen.“ Seither arbeitet er in der Verwaltung und seine Frau als Kellnerin in einem der neuen Cafés. Er ist davon überzeugt, daß er hier eine Zukunft hat. „1680 zogen meine Vorfahren von Peć aus in die Krajina. Jetzt komme ich zurück. Kosovo wird serbisch bleiben.“

Des einen Hoffnung bedeutet für den anderen Leid. Fehmi H. wurde vor einem Jahr aus seiner Wohnung im Zentrum vertrieben. Bewaffnete serbische Polizisten kamen und forderten die Familie auf zu verschwinden. Von einer Stunde zur anderen mußten die Sachen gepackt werden. Seither leben sie im Haus eines Verwandten im albanisch dominierten Teil der Stadt. Der 45jährige ehemalige Polizist hatte schon 1990 seinen Job verloren, als Zehntausende von Albanern den Staatsdienst quittieren mußten. Seitdem schlägt er sich mit Gelegenheitsarbeiten durch. Ab und zu schickt der älteste Sohn aus dem Ausland Geld.

Die Spannung zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen ist überall und jederzeit in der Stadt spürbar. Seit die albanischen Arbeiter und Angestellten 1990 systematisch entlassen wurden, seitdem das Schul- und Universitätssystem, das Gesundheitswesen, die Verwaltung serbisiert worden sind, lebt die Bevölkerung in getrennten Welten. Selbst zwischen alteingesessenen Serben und Albanern ist die Kommunikation abgebrochen. Kleine Zwischenfälle zeigen dies. Erschrocken und erleichtert zugleich ist der Blick eines halbwüchsigen Albaners, der im serbischen Territorium Süßigkeiten verkaufen will. Ein serbischer Soldat hat einfach nach einer Tafel Schokolade gegriffen. Jetzt winkt er dem Jungen zu. Weiter passiert nichts. Der Junge geht langsam zurück ins Albanerviertel. Und wird wohl hier nichts mehr verkaufen wollen.

In den Nebenstraßen des modernene Zentrums sind viele Gebäude für die Sonderpolizei reserviert. Und die Armee hat hier ihr Hauptquartier. Kein Albaner traut sich mehr in dieses Viertel. Einige Gesichter sind bekannt: Spezialisten der serbischen Polizei, die in der Krajina und in Bosnien-Herzegowina aktiv gewesen sind. Sorgfältig werden die Passanten kontrolliert. Denn auch serbische Militärs beginnen sich zu fürchten.

Am 16. Januar kam es zum ersten von einer ganzen Serie von Bombenanschlägen. Damals entkam der Rektor der serbischen Universität von Priština knapp dem Anschlag. Weitere Anschläge Anfang März galten der Universität und dem Denkmal des Zaren Dušan in Przren, einer der heiligen Stätten der Serben. Beide Bomben konnten entschärft werden. Spekulationen um die Herkunft machen seither die Runde. Die serbischen Behörden sind überzeugt, albanische Terroristen hätten die Bomben gelegt. „Es müssen Amateure sein“, sagt einer der serbischen Spezialisten. Doch die Sache wird sehr ernst genommen.

Denn auch den von ihrer Stärke überzeugten serbischen Nationalisten ist der Gedanke unbehaglich, die Albaner könnten von ihrer Strategie des passiven Widerstandes abrücken und zu einem offensiven Kampf um das Land übergehen. Zwar hat die serbische Armee über 60.000 Mann im Lande stehen. Panzer und Militärfahrzeuge auf dem Gelände oberhalb der Stadt sind gut sichtbar postiert. Doch nach den Erfahrungen mit den Kriegen in Bosnien und Kroatien wissen die serbischen Militärs, daß Einschüchterungen nicht immer wirken. Und deshalb raten nicht nur Politiker der serbischen Opposition zur Vorsicht. „Wir müssen zu einer politischen Übereinkunft kommen“, sagt einer der Sprecher der serbischen Regierung im Kosovo.

Doch wie soll dies nach all den Jahren der Unterdrückung der albanischen Bevölkerungsmehrheit geschehen? Die Straße von Priština nach dem westlich gelegenen Peć führt durch die fruchtbaren Gebiete des Kosovo-Polje, des Amselfeldes. Überall werden neue Häuser gebaut. Es sind albanische Familien, die hier mit Unterstützung der Nachbarn und Verwandten recht ansprechende Anwesen aufbauen. Neue Autos stehen vor vielen Hauseingängen. Bei einer Reparaturwerkstatt klärt der Mechaniker auf: Seit Ende der achtziger Jahre Hunderttausende von jungen Albanern das Land auf der Suche nach Arbeit verlassen mußten, habe sich jetzt die Lage verbessert. „Denn die schicken ihren Familien jeden Pfennig, den sie im Ausland verdienen.“ Auch sein Bruder arbeite in Holland. Die Werkstatt gehöre eigentlich ihm.

Die albanische Bevölkerung hat sich in dem aufgezwungenen Apartheidsystem eingerichtet. In den Dörfern werden neue albanische Schulen gebaut. Ismet K., der vor sieben Jahren seinen Dienst im offiziellen Schulsystem quittieren mußte, ist nun Rektor einer albanischen Sekundarschule. 38 Millionen Mark würden im Ausland und im Kosovo für die 61 albanischen Schulen aufgebracht. „Das ist nicht viel, unsere Gehälter sind klein, aber wir geben unseren Kindern eine Chance.“ Da die Abschlüsse der Schulen und der Untergrunduniversität von der Staatsmacht bisher nicht anerkannt würden, könnten die Serben jetzt ihren Friedenswillen beweisen: „Sie müssen unser Schulsystem akzeptieren.“

Ein solches Entgegenkommen der serbischen Behörden halten kosovoalbanische Politiker jedoch für in nächster Zeit ausgeschlossen. Selbst die serbische Opposition aus Belgrad nehme in der Kosovo-Frage einen nationalen Standpunkt ein. Sogar Vesna Pesić, die Vorsitzende der Bürgerallianz, biete lediglich „ein bißchen Autonomie für den Kosovo an. Dagegen verfolgten die Machthaber die Politik der Bildung ethnischer Oasen“, sagt Ymer Muhaxheri. „Die Lage wird systematisch verschärft.“ Ymer Muhaxheri ist einer der führenden Politiker der Demokratischen Liga des Kosovo in Peć, der zweitgrößten Stadt der ehemals „autonomen Region“ in Jugoslawien. In einem mit Stahltüren gesicherten Hinterzimmer im Basarviertel der Stadt beschreibt er sachlich, wie auch in anderen Teilen des Kosovo ethnische Oasen geschaffen würden. Albanische Familien verlören ihre Wohnungen, um serbischen Flüchtlingsfamilien Platz zu machen. Dann werde dieses Terrain von serbischen Polizisten gesichert. Auch in Peć seien Flüchtlinge aus der Krajina angesiedelt worden. Ganze Dörfer würden neu errichtet. Die Politik der ethnischen Trennung sei vollendet worden.

Täglich erreichten Nachrichten von Übergriffen die Menschenrechtskommission der Stadt. Wie in dem Dorf Rokualli. Dort wurden am Morgen des 18. März von dem serbischen Bewohner Pavlović Schüsse auf eine Mutter und ihre drei Kinder abgegeben. Die Frau sei dabei verletzt worden. Die serbischen Polizisten hätten den Vorfall als Jagdunfall eingestuft. „Dabei scheint der Mann bewußt geschossen zu haben. Denn das Anwesen ist von einer hohen Mauer umgeben.“ Vorfälle dieser Art kämen täglich vor. „Die Rechtsunsicherheit ist unerträglich geworden.“ Der Unmut vor allem der jungen Albaner nehme zu. „Wie sollen wir unsere Leute zurückhalten, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, wenn unser friedlicher und passiver Widerstand von der Welt nicht honoriert wird?“ Bitter beklagt er sich über die Haltung der internationalen Gemeinschaft, die nichts als schöne Worte zur Lösung der Probleme beitrage. „Sie behandeln den Kosovo-Konflikt als internes Problem Jugoslawiens.“ Nur aus Deutschland und den USA komme wenigstens diplomatische Unterstützung.

Orientalisch mutet das Treiben in den Gassen der Altstadt an. In Werkstätten werden Schuhe, Kupfergefäße und Goldschmuck hergestellt, Cafés und Garküchen sind voller Leute, die dem Treiben auf der Straße zusehen. In einem Hauseingang präsentieren sich einige junge Leute als Widerstandsgruppe. „Das Leben ist unerträglich“, sagen sie. „Wir werden für unsere Freiheit kämpfen, wenn nötig, mit Gewalt. Kosovo ist unser, Kosovo wird unabhängig sein.“

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