: Allen Ginsberg ist am Samstag 70jährig gestorben. Mit Jack Kerouac und William Burroughs bildete der Dichter Ende der vierziger Jahren das Dreigestirn der Beat generation - Mutter aller späteren Subkulturen. Auf ihrem Weg zur Erkenntnis spi
Allen Ginsberg ist am Samstag 70jährig gestorben. Mit Jack Kerouac und William Burroughs bildete der Dichter Ende der vierziger Jahren das Dreigestirn der Beat generation – Mutter aller späteren Subkulturen. Auf ihrem Weg zur Erkenntnis spielten Sex, Drogen und fernöstliche Philosophien eine große Rolle.
Hallo Nikita, hier ist Gott!
„Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom / Wahnsinn, ausgemergelt hysterisch nackt. [...] / mit Träumen, mit Drogen mit Wahnvorstellungen, Alkohol / und Schwanz und endlosem Rumficken / unvergleich blinde Straßen mit zuckenden Wolken und / Blitzen im Hirn [...] Visionen! Vorahnungen! Halluzinationen! Wunder! Ekstasen! alles den amerikanischen Bach runter!“
Am 13. Oktober 1955, als Allen Ginsberg in der „Six Gallery“ in San Francisco zum ersten Mal sein berühmtestes Gedicht „The Howl“ vorlas und den „Moloch“ Amerika beschimpfte, wurde er als Prophet gefeiert. Passagen von Männern, „die sich in den Arsch ficken ließen von heiligen Motorradfahrern und dabei vor Freude schrien / die bliesen und geblasen wurden von jenen menschlichen Seraphim, den Seeleuten“, führten zwar 1957 zur Verhaftung seines Verlegers. Später jedoch wurden die durchaus auch drogeninspirierten Verse zum bekanntesten amerikanischen Gedicht seit T.S. Eliots „Waste Land“.
Zusammen mit seinen Freunden Jack Kerouac und William S. Burroughs bildete der am 3. Juni 1926 im New Yorker Greenwich Village geborene Sohn linker Bohemiens das Dreigestirn der Beat generation, die Ende der vierziger Jahre ihre Suche nach spiritueller Befreiung und einem Jenseits des Konsumismus begann und zur Mutter aller späteren Subkulturen wurde.
Musik, Sex, Drogen und fernöstliche Philosophien spielten dabei durchaus eine prominente Rolle. Wie seine Freunde war der schwule, extrem belesene Dichter davon überzeugt, daß gerade die Halluzinogene eine wertvolle Inspirationshilfe für den Dichter seien. Kein Wunder: 1948 kam ihn in einer Drogenvision der englische Romantiker William Blake besuchen.
Nachdem er 1961 LSD probiert hatte, proklamierte Ginsberg zusammen mit Drogenpapst Timothy Leary „die psychedelische Revolution“. Wie Leary war er der Ansicht, daß alle führenden Politiker LSD nehmen sollten, damit die Welt besser werde. Berauscht versuchte er Nikita Chruschtschow anzurufen, stellte sich bei der Telefonistin als „Gott“ vor und buchstabierte das sogar. Leider klappte das alles dann doch nicht, und er sprach nur mit Jack Kerouac, der davon überzeugt war, daß die Russen das LSD nach Amerika gebracht hätten, um das Land zu schwächen.
Wie Kerouac, so begeisterte sich auch Ginsberg für den Zen- Buddhismus. Während sich Kerouacs Begeisterung jedoch nach einigen Jahren erschöpft hatte, behielten die östlichen Lehren für Ginsberg ihre Gültigkeit und beeinflußten einen großen Teil seiner freien Lyrik.
Ginsberg war einer der großen Reisenden der Beat generation. Um die Droge Yage zu probieren, fuhr er nach Peru. Auf Yage sah oder fühlte er etwas, „was ich für das Große Wesen hielt [...], sah es im Geiste auf mich zukommen wie eine nasse Vagina, [...] das einzige Bild, mit dem ich es veranschaulichen kann, ist das eines großen schwarzen göttlichen Nasenlochs, durch das ich in ein Mysterium blickte – und um das schwarze Loch herum die ganze Schöpfung, vor allem vielfarbige Schlangen“, schrieb er an Burroughs über seine Erfahrung mit der halluzinogenen Indianerdroge Yage.
Um sein Verständnis fernöstlicher Weisheiten zu vertiefen, unternahm er mehrere Fahrten nach Indien, Japan und Vietnam. 1962 wurde er vom Dalai Lama empfangen, der ihm, über Drogen befragt, zur Antwort gab, daß sie wohl ein nützliches Hilfsmittel seien, auf Dauer jedoch die harte Selbstdisziplinierung auf dem Weg zur Erkenntnis nicht ersetzen könnten. In dem tibetischen Mönch Trungpa, der ihm in den siebziger und achtziger Jahren kaum von der Seite wich, fand Ginsberg seinen Guru. Im Februar 1985 verschlug es ihn auch nach Ost-Berlin, wo er auf Vermittlung von Sascha Anderson in Prenzlauer Berg las.
Ginsberg verkörperte wie kein anderer die Ideale einer politisierten Subkultur, die nicht zuletzt auch zur Gründung der taz führte. Als Sprecher eines „vereinigten hippie-pazifistisch-aktivistisch- visionär-anarchistisch-orientalistisch-psychedelischen Untergrunds“ (Jane Kramer) tanzte der lächelnde Onkel mit der dicken Brille auf allen Hochzeiten: Er engagierte sich für die Rechte der Schwulen, er forderte die Legalisierung von Marihuana, er beteiligte sich an Protestmärschen gegen den Vietnamkrieg und unterstützte die Oppositionsbewegung im Ostblock. Zeit seines Lebens hielt er Kontakt zu neuen subkulturellen Bewegungen und förderte junge Künstler.
„Nur der Dilettant ist der exemplarische Realist“, schrieb Allen Ginsberg einmal. Und: „Erweitere den Bereich des Bewußtseins, bis er so weit ist, daß er seinen eigenen Tod mit einschließt. Das ist der Sinn des Lebens.“ Am Samstag starb der sympathische Uncle Sam des Underground. Detlef Kuhlbrodt
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