: „Das war eine Befreiung des Worts“
■ Allen Ginsberg Ende 1996 über sein Image als zorniger Dichter
Sein Arzt, erzählte Allen Ginsberg im Oktober 96, habe bei ihm Herzprobleme diagnostiziert. Weil das Treppensteigen beschwerlich werden könnte, zog er in einen Loft mit Aufzug um. Finanziert hat er ihn durch den Verkauf seiner Bibliothek an eine Hochschule. Seit 1985 unterrichtete er die Schüler des Brooklyn College in Literatur. Damit sei 1997 Schluß, kündigte er an. „Ich gehe in den Ruhestand und bekomme meine Pension.“
Allen Ginsberg: Ich habe das Stereotyp der Medien satt. Ich bin auf die amerikanische Gesellschaft nicht zornig. Ich bin auf Leute sauer, die denken, ich sei sauer. Wer „Howl“ oder andere meiner Gedichte liest, wird entdecken, daß darin eine Wut ist, daß Energie drin ist und Überschwang, aber kein Zorn. Das Stereotyp über die Beat generation als „Angry Young Men“ blieb an uns Dichtern kleben. Das „Zorn-Ding“ wurde uns von der zornigen Mittelklasse angehängt. Sie waren auf uns sauer, und da beschuldigten sie uns, wir wären zornig. Wir aber hatten unseren Spaß. Denn wir hatten etwas Sensibles zu sagen. Wir hatten einen Grund unter den Füßen, wir waren sexuell besser ausgerichtet, und wir waren keine Alkoholiker. Wir hatten statt dessen Marihuana. Viele der Mittelklasse-Kritiker oder Dichter, die bei den bourgeoisen Stilen blieben, tranken sich selbst zu Tode und starben jung. Die meisten Beat-Schreiber sind jetzt in hohem Alter und produzieren recht fröhlich.
Wenn Sie die Gegenwart mit den 50er Jahren vergleichen, wie stark war der Einfluß der Beat generation auf die Gesellschaft?
Mit der Lyrik der 50er Jahre kam ein Sinn für Offenheit und Direktheit in die Literatur. Das mußte logischerweise zur Offenheit über Sexualität führen. Das führte wohl auch zur Schwulenbefreiung. Mit der Beat-Bewegung wuchs auch das Interesse an afro- amerikanischer Kunst, an Blues, Rhythm & Blues und Rock 'n' Roll. Das wurde für viele Dichter bis zu mir und Kerouac eine Quelle der Inspiration. Die amerikanischen Beat-Leute waren nicht apolitisch, aber sie waren weder in gewalttätige Aktionen involviert noch an Gewalt interessiert. Sie interessierten sich für die meditative Gelassenheit als Weg, wie man gesellschaftliche Themen eher lösen kann als durch das Werfen von Bomben. Dann gab es eine interessante Wendung zur Absorption östlichen Denkens durch die Intelligenz, zum Buddhismus. Wir richteten unter der Präsidentschaft eines tibetischen Lama das Neuropa Institut ein. Er bewunderte die Dichtung von Kerouac als Manifestation des spontanen Gedankens. Er prägte auch den Slogan: erster Gedanke, bester Gedanke. Kerouac war die Einrichtung eines buddhistischen Geschmacks in der US-Poesie. Da ging es um eine gewisse regellose Offenheit.
Wir benutzten die gesprochene intelligente Sprache und folgten damit der Tradition von Whitman und Pound. Wir alle kannten William Carlos Williams oder bewunderten ihn. Kamen von seiner Linie oder sind seine Söhne. Wir veränderten die formale Dichtkunst durch die Sprache und die Form, das Arrangement, die Abschaffung des Reims und öffneten die Poesie für Kadenzen, wie sie von den klassischen griechischen Versmaßen herkamen. Das war eine Befreiung des Worts.
In den 50er Jahren hatten Sie Probleme mit der Zensur. Gibt es die heute noch?
Seit 1988 gibt es in Amerika wieder eine Zensur. Das Gesetz wurde von Senator Jesse Helms, dem homophoben Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, eingeführt. Er ist so etwas wie ein Gesetzgebungslobbyist der legalen Drogenindustrie, der Killerdroge Tabak. Er hat ein Positionspapier geschrieben, das von der Heritage Foundation unterstützt wurde. Es geht darum, das „Unanständige“ 24 Stunden aus dem Äther zu verbannen. Reagan unterzeichnete dieses Gesetz im Oktober 1988. Dadurch bekamen die Schulradios und Universitätsstationen Angst, meine bekanntesten Werke wie „Howl“, „Kaddish“, „America“ und „Sunflower Sutra“ auszustrahlen. Es gibt eine Gerichtsentscheidung, wonach sieben Wörter im Äther nicht ausgesprochen werden dürfen, darunter „fuck“, „shit“, „cocksucker“, „cock“, „asshole“.
Was sind Ihre Hoffnungen für Drogenpolitik in der Zukunft?
Entkriminalisierung von Marihuana. Das Budget für Drogenkommissionen, Polizei und Sozialarbeiter liegt bei 14 Milliarden Dollar im Jahr. Die sollten für Rehabilitationsmaßnahmen, Krankenhäuser und Therapien eingesetzt werden. Statt dessen haben wir immer größere Gefängnisse. Junkies werden in den USA behandelt wie die Juden in Nazi- Deutschland, gejagt von Polizeihunden und ins Gefängnis geworfen. Manchmal sterben sie am Entzug. Psychedelics sollten Medikamente werden. Aber vor allem sollte sich die Regierung aus dem Kokaingeschäft zurückziehen. Interview: Werner Stiefele
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen