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Algerien: Strafaktionen militanter Islamisten

■ Bei der schwersten Terrorwelle seit dem Ramadan sterben mindestens 91 Menschen. Augenzeugen berichten von Massakern mit Kettensägen und Äxten

Madrid (taz) – Totgesagte leben länger. Diese Weisheit führten die algerischen Bewaffneten Islamistischen Gruppen (GIA) am Wochenende erneut auf traurige Weise vor. Trotz wochenlanger Militärrazzien gegen den islamistischen Untergrund, haben die Terrorkommandos im Land nicht an Einsatzfähigkeit eingebüßt. Mindestens 91 Menschen sind seit Freitag den GIA zugeschriebenen Attentaten zum Opfer gefallen – die grausamste Anschlagsserie seit dem Fastenmonat Ramadan mit seinen mehr als 300 Todesopfern.

Die schrecklichsten Szenen spielten sich einmal mehr in der Gegend um Medea, südlich der Hauptstadt Algier, ab. Überlebende aus Thalit, einem Dorf in der Region, in der seit Jahren Militär und islamistische Gruppen um die Vorherrschaft kämpfen, berichteten den Tageszeitungen Liberté und El Watan von einer regelrechten Strafexpedition durch ein 50köpfiges Kommando. Mit Listen seien die bewaffneten Männer am Samstag abend in den Ort eingedrungen, hätten ganze Familien, einschließlich Alter, Frauen und Kleinkinder, auf die Straße getrieben und insgesamt 52 Menschen mit Äxten und Messern geköpft.

Im Nachbarort Amrussa ereilte mindestens 15 Menschen das gleiche Schicksal. Einige der Opfer sollen von dem Kommando unter Leitung des örtlichen GIA-Führers, Antar Suabri, mit Benzin übergossen und lebendig verbrannt, andere geköpft worden sein. In diesem Fall benutzten die Attentäter Kettensägen.

Weitere Überfälle ereigneten sich in der Berberregion Kabylei und in der Nähe des Tourismuskomplexes Sidi Fredsch. Besonders der letzte Anschlag zeugt von der Einsatzfähigkeit der islamistischen Kommandos: Die Landzunge vor den Toren der Hauptstadt beherbergt Hotelkomplexe und Villensiedlungen. Hermetisch abgeschirmt hält Algeriens Führung hier Kongresse ab und bringt ausländische Gäste unter. Sogar Präsident Liamine Zéroual soll dort in einem Bungalow seine Freizeit verbringen. Die erneute Anschlagsserie erfolgt nach wochenlangen Militärrazzien. Das Innenministerium behauptet, den radikalen Islamisten dabei schwere Verluste zugefügt zu haben.

Unter den über 100 Opfern befänden sich mehrere wichtige Führer der GIA. Mehrere Waffendepots, Bombenwerkstätten und geheime Krankenhäuser seien zerstört worden. Mit den Einsätzen, bei denen Polizei und Militär selbst vor Bombenabwürfen aus Hubschraubern nicht zurückschrecken, soll der islamistische Untergrund endgültig zerschlagen werden, um so für ruhige Parlamentswahlen am 5. Juni zu sorgen. Reiner Wandler

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