Ein Gespenst geht um in Deutschland, das Gespenst des türkischen Islamismus. Der Verfassungsschutz hat es erspäht. Er warnt. Der Sozialwissenschaftler hat es analysiert. Er rät zu offener Debatte. Und die Regierungen in Bonn und Ankara woll

Ein Gespenst geht um in Deutschland, das Gespenst des türkischen Islamismus. Der Verfassungsschutz hat es erspäht. Er warnt. Der Sozialwissenschaftler hat es analysiert. Er rät zu offener Debatte. Und die Regierungen in Bonn und Ankara wollen keinen neuen Streit.

Feindbild Islam? Bloß keine Panik!

Bundesinnenminister Manfred Kanther bemühte sich um Schadensbegrenzung: „Natürlich“ sei es „nicht erfreulich“, daß eine solche „eindeutig extremistische Organisation“ in der Bundesrepublik tätig sei, aber er wolle daraus keine Folgerungen für das deutsch-türkische Verhältnis ziehen: „Ich habe doch überhaupt kein Interesse daran, die Beziehungen zur Türkei mit jedem Punkt, der unerfreulich ist, zu belasten.“

Das Thema ist heikel. Aus dem jüngsten Bericht des Verfassungsschutzes geht hervor, daß in Deutschland die Zahl der ausländischen Anhänger islamistischer Organisationen auf Rekordhöhe geklettert ist. In der Türkei hat ein Sympathisant einer dieser Organisationen erheblichen Einfluß: Ministerpräsident Necmettin Erbakan. Die im Ausland operierende „Islamische Gemeinschaft Milli Gorüș“ unterstützt seine Wohlfahrtspartei – und wird vom deutschen Verfassungsschutz im Jahresbericht 1996 als die „weiterhin stärkste islamistische Organisation im Bundesgebiet“ bezeichnet.

Milli Görüș hat nach Erkenntnissen der Behörde 26.500 Mitglieder und Anhänger in etwa 500 Zweigstellen in Deutschland. Sie strebe, so der Verfassungsschutz, die Einführung eines auf dem Koran und dem islamischen Rechtssystem Scharia basierenden Rechts- und Gesellschaftssystems an. Es gebe Anhaltspunkte, daß sie „auch für die in Deutschland und anderen europäischen Staaten lebenden türkischen Muslime ein Leben nach der Scharia erreichen will“.

An der Unterstützung Erbakans für Milli Görüș gibt es laut Verfassungsschutz keinen Zweifel. Via Satellit sei er Anfang Dezember zu einer Funktionärsversammlung in Montabaur zugeschaltet gewesen und habe dabei der Organisation zu ihrer Arbeit gratuliert.

Weder Ankara noch Bonn ist allerdings offenbar derzeit an einer weiteren Verschlechterung des Klimas zwischen beiden Ländern gelegen. Kanther: „Die Bundesrepublik wünscht keinen Konflikt mit dem Bündnispartner und alten Freund Türkei.“ Andererseits werde sie es an Deutlichkeit nicht fehlen lassen, wenn die Türkei sich „wie in den letzten Tagen“ im Ton vergreife.

Die Bemerkung war auf Äußerungen aus den Reihen türkischer Politiker gemünzt, die die Bundesregierung nach dem Brandanschlag auf die Wohnung einer türkischen Familie in Krefeld für ausländerfeindliche Ausschreitungen in Deutschland verantwortlich gemacht hatten. Der Brand war jedoch laut Polizei mutmaßlich vom Familienvater selbst gelegt worden.

Um versöhnliche Töne bemühte sich gestern auch der türkische Botschafter in Bonn, Volkan Vural. „Es ist alles richtig, was Kanther gesagt hat“, erklärte er auf einer Pressekonferenz und wiederholte, Äußerungen von Regierungspolitikern in Ankara im Zusammenhang mit dem Anschlag seien in Deutschland mißverstanden worden.

Wenig Sympathie zeigte der Diplomat für extremistische Gruppen. „Wir wissen auch, daß diese politisch-islamistischen Gruppen hier in Deutschland bestehen, aber wir glauben, daß das kleine Gruppen sind, die im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit bekämpft werden können.“ Die Frage, ob er in den Aktivitäten von Milli Görüș eine Belastung der Beziehungen sehe, ließ der Botschafter unbeantwortet. Bettina Gaus/Vicki Ebermann