: Ruinierte Gotteshäuser
■ Bauexperte: Hunderte Kirchen der Region verfallen. Neue Nutzungen
„Rund 200 der 2.000 Kirchengebäude in Berlin und Brandenburg sind in so schlechtem Zustand, daß sie als Ruinen bezeichnet werden müssen.“ Diese Einschätzung traf der stellvertretende Leiter des Bauamtes der Berlin-Brandenburgischen Kirche, Matthias Hoffmann-Tauschwitz. „Weitere 200 bis 300 werden diesen Zustand in den nächsten fünf Jahren erreichen.“ Betroffen seien vor allem die kleinen Dorfkirchen auf dem flachen Land. Nicht nur gottverlassene Gebäude sind darunter. In etlichen Ruinen beten die Gemeindemitglieder noch. Sie hätten eine Perspektive – wenn Geld für Renovierungen da wäre, sagte Hoffmann-Tauschwitz.
Die Situation der zum Teil aus dem 13. Jahrhundert stammenden Gotteshäuser soll heute und morgen auf der Tagung „Kirche im Gemeinwesen“ in der St.-Nikolai-Kirche in Potsdam zur Sprache gebracht werden. Die Landeskirche hat dazu 1.300 Politiker, Vertreter der Landkreise und Städte sowie Denkmalschützer eingeladen. In den Niederlanden hat man Gotteshäuser im großen Stil umgebaut und weltlich genutzt.
„Wir wollen die Öffentlichkeit in einen Dialog darüber zwingen, was mit diesen Gebäuden geschehen soll, die ja einst in einem breiten öffentlichen Konsens errichtet worden sind“, forderte Hoffmann- Tauschwitz. An vielen Kirchen der Region seien seit Ende der dreißiger Jahre keine Unterhaltungsarbeiten mehr vorgenommen worden. Der aufgestaute Nachholbedarf sei bereits 1991 auf 1,5 Milliarden Mark taxiert worden.
„Die Schäden wurden zum übergroßen Teil durch die Vernachlässigung sakraler Bausubstanz in der DDR verursacht, aber auch in Westberlin wurde vieles durch nur notdürftige Reparaturen verschleppt“, betonte Kirchenbaumensch Hoffmann-Tauschwitz. Eine halbe Milliarde sei seither abgearbeitet worden. „Zwei Drittel davon hat die Landeskirche aus ihrem Haushalt getragen.“ Doch jetzt sei das kirchliche Vermögen restlos aufgebraucht.
„Die Kirche hat künftig nur noch finanzielle Mittel für ein Drittel ihrer Mitarbeiter und Gebäude“, meinte Hoffmann- Tauschwitz. „Wir brauchen eine kommunale und gemeinnützige Funktion für die Kirchen, andernfalls müssen wir zusehen, wie sie verfallen, beziehungsweise dulden, daß irgend jemand sie privat oder kommerziell nutzt.“ Die bevorstehende Tagung in Potsdam solle erst einmal eine Öffentlichkeit für das Problem schaffen, wie es vor einigen Jahren in Berlin mit mehreren Gesprächsrunden über die „Neue Nutzung von alten Kirchen“ gelungen sei. Unkonventionelle Nutzungen seien gefragt. „Mit dem Gottesdienst einmal in der Woche ist die Dorfkirche, zumeist der einzige Großraum des Ortes, nicht ausgelastet. Dort könnte beispielsweise die Arbeitslosenberatungsstelle mit einziehen oder die Dorfjugend, die keinen Klub hat, eine Bleibe finden.“ dpa
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen