Das Portrait
: Mit weißer Weste gegen die Tories

■ Martin Bell

Nun muß er doch kandidieren: Martin Bell, der Kriegsreporter der BBC, tritt bei den britischen Wahlen am 1. Mai im Wahlkreis Tatton in der Grafschaft Cheshire als Antikorruptionskandidat gegen den amtierenden Tory-Abgeordneten Neil Hamilton an. Eigentlich hatte Bell gehofft, daß der Tory- Ortsverband den umstrittenen Hamilton am Dienstag abend kippen würde. Dann hätte auch Bell seine Kandidatur zurückgezogen, und Tatton wäre wieder ein ganz normaler Wahlkreis gewesen.

Doch Hamilton setzte sich vorgestern mit 182 gegen 100 Stimmen durch. Gegen den ehemaligen Staatssekretär liegt der dringende Verdacht vor, daß er sich von Mohamed Al Fayed, dem das Kaufhaus Harrod's gehört, mit Geld und Urlaubsreisen dafür bezahlen ließ, im Unterhaus Fragen zu stellen, die ihm Al Fayed in den Block diktiert hatte. Hamilton bestreitet die Vorwürfe.

Die Labour Party und die Liberalen Demokraten witterten Morgenluft, als der Inhalt des Untersuchungsberichts vor zwei Wochen durchsickerte. Beide Parteien machten sich auf die Suche nach einem parteilosen Kandidaten mit garantiert weißer Weste – vorige Woche meldete sich Martin Bell.

Der 58jährige Reporter hat 35 Jahre für die BBC gearbeitet, war in mehr als 80 Ländern im Einsatz und hat elf Kriege aus nächster Nähe miterlebt. Neben einer kugelsicheren Weste verließ sich Bell vor allem auf seinen hellen Anzug, der ihn als Reporter kenntlich machen sollte. In Bosnien half das nicht: Bell wurde von einem Querschläger getroffen und ziemlich schwer verletzt.

Sollte Bell in der Tory- Hochburg Tatton gewinnen, wird er als unabhängiger Abgeordneter im Unterhaus sitzen – eine seltene Spezies, weil das Wahlsystem parteilosen Kandidaten eigentlich keine Chance läßt. Aktuelle Umfragen ergeben einen leichten Vorsprung für Bell, bei den Buchmachern ist er Favorit.

Der Kampf Bell versus Hamilton sorgt dafür, daß das Thema Korruption den Premierminister John Major bis zum Wahltag verfolgen wird. Er kündigte an, sofort gegen Hamilton vorzugehen, falls sich die Vorwürfe im Untersuchungsbericht bestätigen würden. Merkwürdig: Durch die überhastete Auflösung des Parlaments hatte Major die Veröffentlichung eben dieses Berichts vorerst verhindert. Ralf Sotscheck