: Standort D verschlafen
■ Unternehmensberater vermissen Innovation und Risikobereitschaft
Bonn (taz) – Immer mehr deutsche Unternehmen verlagern ihre Produktion aus Kostengründen ins Ausland. Dort haben sie einen Kostenvorteil von durchschnittlich 33 Prozent gegenüber ihrer inländischen Produktion. Das ist das Ergebnis einer Studie des Bundes Deutscher Unternehmensberater (BDU), die gestern in Bonn vorgestellt wurde.
Der BDU folgert daraus jedoch nicht, daß in erster Linie die Löhne, Sozialleistungen und Steuern gesenkt werden müssen. Vielmehr sei vor allem eine andere Mentalität erforderlich, das heißt mehr Flexibilität, mehr Motivation, mehr Risikobereitschaft.
Die Studie gründet sich auf die Aussagen von 276 Unternehmen, deren Gesamtumsatz 176 Milliarden Mark beträgt. Die befragten Unternehmen haben bereits zu 83 Prozent eine oder mehrere Produktionsstätten im Ausland. Fast alle, so die Studie, erwägen weitere Auslandsaktivitäten. 68,7 Prozent der bisher nur im Inland produzierenden Unternehmen wollen sich künftig im Ausland engagieren. Die Quote wäre noch höher, so die Studie, wenn nicht Informationsdefizite (41 Prozent) über das Ausland bestünden.
Wie viele Arbeitsplätze durch die Auslandsaktivitäten im Inland verlorengingen, könne nicht abgeschätzt werden, sagte BDU-Geschäftsführer Wilfried Domke. Es seien jedenfalls lange nicht so viele, wie die Zahl der Auslandsinvestitionen vermuten ließe. Zudem sichere die Produktionsverlagerung ins Ausland auch deutsche Arbeitsplätze. Manche Unternehmen machten ihre Gewinne im Ausland und könnten damit den deutschen Standort halten.
Bedenklich stimme allerdings, so Domke, daß die befragten Unternehmen die Verlagerung von 11,3 Prozent ihres Produktionsvolumens ins Ausland erwögen. Darin drücke sich der geplante Abbau von Produktionsleistung aus. Ein erstes Auslandsengagement sei zu zwei Dritteln durch Existenzsicherung motiviert. Und das, obwohl der Produktivitätsnachteil im Ausland durchschnittlich 24 Prozent und der Qualitätsnachteil 24 Prozent betrage. Andererseits sind laut Statistischem Bundesamt seit 1974 die deutschen Industrielöhne mit 189 Prozent doppelt so stark gestiegen wie die Produktivität mit 89 Prozent.
Die Unternehmensberater des BDU halten die Verbesserung des Standortes Deutschland dennoch „nicht für eine Frage des Geldes, sondern der Denke“. Die 33 Prozent Kostennachteil könnten ohnehin nicht durch Sparen wettgemacht werden. Um so mehr seien Flexibilität und Mut zur Innovation erforderlich. Arbeit müsse leistungsbezogener entlohnt und flexibler verteilt werden. Behörden müßten kundenorientierter werden. Zudem sei eine Reform des Bildungssystems überfällig, das Innovationen bremse. 50 Prozent der Hochschulabgänger suchten einen Job im öffentlichen Dienst.
Die Unternehmensberater kritisierten auch die Unternehmer, die ihre Wettbewerbsfähigkeit zuletzt durch Investitionen in Forschung und Entwicklung zu verbessern suchten. Wichtig seien mehr Initiativen für Existenzgründer. Beispielhaft, so ein Teilnehmer, sei die Aktion eines Unternehmens, das 1.000 Mitarbeiter habe entlassen müssen. Wer wollte, habe Starthilfe für die Gründung eines neuen Unternehmens bekommen. 400 neue Arbeitsplätze seien entstanden. Markus Franz
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