piwik no script img

Der alte Löwe brüllt noch immer

Gesichter der Großstadt: Der Architekt Hardt-Waltherr Hämer, der in Kreuzberg statt Abriß die behutsame Stadterneuerung exerzierte, ist 75  ■ Von Rolf Lautenschläger

Wenn Hardt-Waltherr Hämer auf Veranstaltungen zur Stadtplanung sich langsam erhebt, tief Luft holt und dann loswettert, gehen Baupolitiker schon mal in Deckung. Ist das qualitätvolle Architektur, die am Potsdamer Platz entsteht? Wo bleibt die Bürgerbeteiligung bei der Bezirks- oder Hauptstadtentwicklung? Haben wir genug nachgedacht über die Projekte von Investoren? Zerstören wir die Stadt durch zu schnelles Handeln, durch Abrisse nicht wieder, statt sie behutsam zu erneuern?

Die immer gleichen Fragen stellt Hämer laut. Und die Antworten kommen nicht weniger gewaltig. „Alles Scheiße“, tobte er sich einmal im Stadtforum aus, als die Pläne für das Daimler-Benz-Projekt auf dem Tisch lagen. Die „Posaune von Jericho“ töne wieder, sagte Ex-Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer zu dem Hämer-Gewitter.

Ob sein eigentlicher Spitzname, nämlich „Gustav“, von solch starken Auftritten herrührt, weiß Hämer selbst nicht mehr, auch nicht, ob die Assoziation von „Gustav mit der Hupe“ aus Kästners „Emil und die Detektive“ abgeleitet ist. Doch daß der Spitzname zu dem gebürtigen Niedersachsen paßt, der bis dato mit lauter Tröte seine Allgegenwart in der Berliner Stadterneuerungszene unter Beweis stellt, daran zweifelt niemand.

Wie Gustav mit der Hupe schreckt er (Senatoren) auf, rennt durch die (Kreuzberger und Prenzelberger) Höfe und trommelt die (betroffenen) Bewohner zusammen. Hämers Attacken waren immer zur Stelle, wenn Bausenatoren an der Sanierung sowie Stadterneuerung sparen und Häuser räumen wollten oder demokratisch legitimierte Verfahren und Bürgerbeteiligungen ignorierten. „Die Stadt gehört den Bewohnern“, sagt er und verweist darauf, daß heute die Mitbestimmungsrechte im Hauptstadtwahn immer mehr eingeschränkt werden.

Doch der frühere Architekturprofessor der HdK mit der Löwenmähne und dem Löwengebrüll („Der Senator lügt!“) ist auch sanftmütig. Das belegen seine melancholischen Reden etwa bei den Ausgrabungen zur „Topographie des Terrors“ sowie seine Bauten, die er seit den 50er Jahren realisiert hat: Theater, Schulen, Krankenhäuser, Stadthallen und Wohnhäuser – allesamt mit modernen weichen Formen und viel Raum inszeniert. Den vielleicht anmutendsten Bau bildet dabei die kleine Holzkirche in Ahrenshoop, die Hämer und andere 1957 an der Ostseeküste errichteten. Sie ist einem umgedrehten Schiffsrumpf nachempfunden, ist eine Reminiszenz an den Genius loci und die örtlichen Fischerboote.

Gustav Hämers Name ist bis heute aber hauptsächlich Synonym für die IBA-Alt, jenem Part der Internationalen Bauausstellung Berlin, die ab 1979 neben der IBA- Neu eingerichtet wurde, um das bröckelnde Kreuzberg vor dem Flächenabriß zu retten. Als Chef der IBA-Alt pumpte Hämer Geld und Sachverstand in den Bezirk, der heute als Exempel für behutsame Stadterneuerung und Kiezkultur dasteht. „Bürgerbeteiligung“, sagt Hämer, „bedeutet nicht Bauverhinderung, sondern Beschleunigung“. Die „12 Grundsätze zur behutsamen Stadterneuerung“, die Hämer und seine Crew als IBA-Programm formulierten, zielten immer darauf ab, Sanierung mit den Bedürfnissen der dort lebenden Bürger abzugleichen.

Mit dem Abschied von der IBA-Alt und der Gründung der Nachfolgeeinrichtung S.T.E.R.N. hat Hämer in den achtziger Jahren eine Wende vollzogen, die schlitzohrig und zweifelhaft zugleich war. Statt nur auf öffentliche Subventionen zu schielen, plant und baut S.T.E.R.N. als private Stadterneuerungsgesellschaft auf eigene Rechnung. Zugleich traute die Kreuzberger Szene der Hämer- Gesellschaft nicht mehr über den Weg, bedeutete doch die private Initiative weniger Transparenz über den Einsatz von Senatsgeldern sowie das Risiko, daß soziale Projekte zugunsten rentablerer aufgegeben wurden. Auch das selbstherrliche Ansinnen des Löwen, gemeinsam mit dem späteren Bausenator Wolfgang Nagel S.T.E.R.N. nach Tiergarten auszudehnen, nahm ihm die Szene krumm. Zu Unrecht, wie die Arbeit der Gesellschaft beweist.

Hämer, der acht Bausenatoren hat kommen und gehen sehen, der sich mit CDU-Stadtentwicklern ebenso anlegte wie mit AL-Baustadträten, ist mit den Jahren vielleicht gelassener geworden, museumsreif kann man sich ihn – trotz Lametta wie Bundesverdienstkreuz, Schinkelring und vieles mehr – nicht denken. Bis 1995 saß er im Stadtforum und polterte gegen die „neuerliche Stadtzerstörung“. Hämer forderte, angesichts des dynamischen Strukturwandels in Berlin, einen „Stadtvertrag“ zwischen Bürgern, Land und Bund auszuhandeln. In Prenzlauer Berg versucht er Bauten und Milieus zu retten. Das gehe viel schwerer als in Kreuzberg, weil das Abrißbegehren der Investoren viel massiver sei als in SO 36, beklagt er. Seit 1996 leitet er das Verfahren zum künftigen Umbau des Nazi-Bades Prora an der Ostsee.

„Gustav“, wie Freunde und Feinde ihn mittlerweile nennen, will im Sommer als S.T.E.R.N.- Boß aufhören. Zu alt? Wohl kaum. Nur seit gestern 75.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen