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Frontalangriff auf die Autostadt

taz-Serie: „Brennpunkt Masterplan“ (Teil 7): Die Verkehrspolitik soll die Richtung ändern: Rückbau der Straßenschneisen soll den Autoverkehr bremsen. Die Verkehrsverwaltung läuft Sturm gegen diese Planungen  ■ Von Bernhard Pötter

Die Provokation beginnt vor der Haustür. Ausgerechnet vor dem Gebäude der Verkehrsverwaltung, deren Planer das Gesicht der Stadt seit Jahrzehnten gestaltet haben, sollen eben diese Pläne zurechtgestutzt werden: Die Straße An der Urania/Schillstraße in Schöneberg/Tiergarten ist einer der Orte, an denen das „Planwerk Innenstadt“ einen radikalen „Rückbau“ vorsieht: Eine Spur und die Mittelinsel sollen überbaut werden, statt der breiten Autoschneise soll hier nach dem Willen der Masterplaner eine normale Stadtstraße entstehen.

Kein Wunder, daß der CDU- Bau- und Verkehrssenator Jürgen Klemann gegen das Planwerk aus dem Hause seines Widersachers im Senat, Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD), protestiert. Denn es geht nicht nur um den schönen Ausblick aus den Fenstern der Verkehrsplaner. Das „Planwerk Innenstadt“ ist zwar laut Aussagen seiner Autoren, „ein städtebauliches und kein Verkehrskonzept“. Doch die Auswirkungen der Planung sind nichts anderes als eine Umkehrung der Berliner Verkehrsplanungen aus den letzten Jahrzehnten: der Frontalangriff auf die autogerechte Stadt.

Die „Erreichbarkeit“ der Innenstadt für den motorisierten Individualverkehr war lange Zeit oberstes Credo der Stadtplaner. Nach den Zerstörungen im Krieg griffen die Planer in West und Ost zum großen Lineal und schlugen Verkehrsschneisen durch die Innenstadt. Im Osten herrschte die Meinung, das „steinerne Berlin“, Sinnbild für Preußentum und Faschismus, „auf keinen Fall wiedererstehen zu lassen“, wie Joachim Näther, Architekt und verantwortlich für die Planung in Ost-Berlin, heute sagt. In der Ostberliner City wurden deshalb breite Prachtboulevards gebaut, die die Bedeutung der politischen und kulturellen neuen Mitte Berlins unterstreichen sollten. „Außerdem“, so Näther, „sollten nach der Erfahrung mit den engen Mietskasernen des alten Berlins nun Licht, Luft und Sonne in die Innenstadt.“

Doch nach Maueröffnung und Wiedereröffnung der Ost-West- Verbindungen kamen statt Luft und Sonne vor allem Fahrtwind und Abgase. Den „Autobahnen“ durch die Innenstadt hat nun der Masterplan den Kampf angesagt. „Rückbau“ heißt die Devise, zu deutsch: Verkleinerung der Straßenschneisen, Einschränkung der Fahrtgeschwindigkeit, Reduzierung der Fahrspuren, Brechung der großen Achsen durch wiederentstehende historische Plätze und Straßenführungen. So soll nach den Vorstellungen der Masterplaner nicht nur An der Urania/ Schillstraße der grüne Mittelstreifen verschwinden und die Straße durch Neubauten an der Ostseite verengt werden. Auch an der Karl- Marx-Allee zwischen Alexanderplatz und Frankfurter Tor wird der bestehenden Bebauung ein Blockrand vorgesetzt und auf dem Mittelstreifen wachsen statt parkender Autos die Bäume. Die Freiflächen an der Alexanderstraße zwischen der Jannowitzbrücke und dem Alex sollen bebaut und die Straße in ihrem Lauf abgeknickt werden. Östlich des Alexanderplatzes wollen die Planer die Landsberger Straße mit ihren Seitenstraßen wiedereröffnen, die bislang in einem Wohngebiet beerdigt sind. Vor allem aber haben Strieders Planer die Leipziger Straße ins Visier genommen: Ihre jetzige Breite im östlichen Teil soll auf etwa die Hälfte reduziert werden, der Spittelmarkt neu entstehen und die Straßenführung auf einer neuen Gertraudenbrücke über die Spree abgeknickt werden.

Die Verknappung des Straßenlandes soll vor allem den Durchgangsverkehr abschrecken. „Wer von Hellersdorf nach Spandau will, soll gefälligst woanders langfahren“, hieß es bei der Veranstaltung „Stadtprojekte“ zum Thema Verkehr. „Keine andere Großstadt leitet den Durchgangsverkehr durch ihre gute Stube.“ Doch im Gegensatz zu den Vorstellungen einer autofreien Innenstadt sollen die Autos keineswegs aus der City verdrängt werden, sagt Dieter Hoffmann-Axthelm vom Masterplan- Team. Im Gegenteil sehe der Plan Straßenöffnungen durch bestimmte „Einlaßtore“ in die Innenstadt vor: So an der neugebauten Französischen Straße oder am Mehringplatz.

„Die Leute sollen mit dem Auto in die Stadt fahren, aber sie sollen es ruhiger und zivilisierter tun und ihre Umgebung wahrnehmen“, meint Hoffmann-Axthelm. Er sieht den Plan für die Innenstadt als Versuch, die Stadt für die Menschen zurückzuerobern: Lebenswerte Räume zu schaffen, die nicht von Autobahnen durchschnitten werden, eine Aufwertung des Verkehrs zu Fuß, mit dem Fahrrad und des öffentlichen Nahverkehrs. Statt wie bisher auf einigen Magistralen mit 70 km/h durch die City zu rauschen, solle der Verkehr gleichmäßiger und langsamer durch viele kleine Straßen fließen.

Langsamer soll es auch mit dem öffentlichen Verkehr gehen, meint Hoffmann-Axthelm. Ein eigenes Gleisbett für die Straßenbahn lehnt er ab, weil das wiederum zu breiten Straßen führt – und plädiert für eine schnelle Metro zwischen Alex und Zoo. Dem Glaubensbekenntnis von Verkehrssenator Klemann, jeder Ort der Stadt müsse mit dem Auto erreichbar sein, stimmt Hoffmann-Axthelm zu. Den Plan des Senats, in der Innenstadt 80 Prozent öffentlichen und 20 Prozent privaten Verkehr zu erreichen, nennt er „eine Wunschvorstellung“. Nur dürfe das Auto keine Vorfahrt bei der Verkehrsplanung mehr haben und mit seinen Bedürfnissen nicht die Struktur der Innenstadt vorgeben.

Insgesamt sieht der Plan den Neubau von 90 Kilometern Straßen vor – unter anderem eine Verbindung über das Gelände des Bahnhofs Gleisdreieck. „Diese Verbindung brauchen wir, um beim Rückbau der Schillstraße die Verkehrsströme in die Friedrichstadt zu lenken“, sagt der Planer. Auf diesem Weg von West nach Ost soll sich der Verkehr in den verästelten Straßen seinen Weg suchen. „Wir sind keine Verkehrsplaner“, meint Hoffmann-Axthelm, „wir denken die Innenstadt von der historischen Stadt und nicht vom Verkehr aus.“

Das allerdings tut die Verkehrsverwaltung. Senator Jürgen Klemann betont bei jeder Gelegenheit stolz, immerhin fließe der Autoverkehr in Berlin noch doppelt so schnell wie in anderen deutschen Städten. Damit wäre es vorbei, wenn der Masterplan durchkäme. Besonders die Planungen rund um Leipziger Straße und Spittelmarkt liegen dem Leiter des Referats Verkehrsentwicklungsplanung, Georg Müller, schwer im Magen. „Man muß wissen, was man will: Setzt man auf das Primat der historischen Stadtgestaltung oder auf eine vernünftige Verkehrsinfrastruktur?“ Für Müller ist die Frage bereits entschieden. Zwar sei die Verdichtung der Innenstadt und die Stadt der kurzen Wege „im Prinzip richtig“, aber auf Kosten des Straßenlandes dürfe das nicht geschehen. „Ein Rückbau widerspricht in weiten Teilen den Anforderungen der Straßenbauinfrastruktur“, erklärte Müller vor dem Stadtforum. Seine größte Angst: Engere Straßen bedeuten mehr Stau, weniger Leistungsfähigkeit und die Abnabelung der City von den Wirtschafts-, Freizeit- und Erholungsverkehren.

Müllers Fazit für die Verkehrssituation nach Masterplan ist dementsprechend vernichtend: Die Planung „gefährdet die Funktionsfähigkeit der Innenstadt, sie vernichtet die vorhandene Verkehrsinfrastruktur und zwingt der Stadt erhebliche finanzielle Vorleistungen auf“. Für die Rückbauten sind nach seinen Schätzungen „mehr als 100 Millionen Mark“ fällig.

Kritik kommt nicht nur von der Autofraktion: Die Pläne zum „Rückbau“ von Freiflächen seien ein weiterer Schritt zur totalen Versiegelung von Flächen und zur Zerstörung von grünen Flecken, heißt es. Neben Beifall für den Ansatz, den Verkehr zu entschleunigen und die Stadt wieder bewohnbar zu machen, kritisieren die Grünen vor allem das Fehlen eines Verkehrskonzeptes für die Gesamtstadt: Wo bleiben die Autos, wenn sie nicht mehr in die Innenstadt fahren sollen, obwohl dort immerhin 400.000 Autos gemeldet sind? Die Verkehrsverwaltung hat bereits angedeutet, die Planungen müßten dann zu einem schnelleren Ausbau der Ringstraßen um die Innenstadt führen. Daneben warnt der bündisgrüne Verkehrsexperte Michael Cramer davor, mit dem Argument engerer Straßen den Neubau von Straßenbahnlinien zu kippen.

Harald Bodenschatz, Architektursoziologe an der TU, stellt sogar in Frage, ob der Masterplan überhaupt eine Abkehr von der autogerechten Stadt fordert: Schließlich fehle ein Konzept zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs: „Damit wird zunächst nur der automobile Druck auf die Innenstadt erhöht.“ Der Wechsel von großen Verkehrsadern zu kleinen Straßen sei zwar wünschenswert, aber „strategisch problematisch und unzureichend“. Wegen der geplanten neuen Straßen würden „in der Gesamtbilanz die Flächen für den fließenden Autoverkehr eher deutlich zunehmen als abnehmen“.

Die Chancen für die Durchsetzung seiner Ziele schätzt Dieter Hoffmann-Axthelm als gut ein: „Wir sprechen die Vernunft in den Autofahrern an. Schließlich ist jeder Autofahrer auch ein Bewohner der Stadt, der die Stadt wahrnehmen möchte.“ Doch für eben diese Stadtbewohner könnte sich ihre eigene Wohnsituation drastisch ändern. Denn der Masterplan bedeutet auch die Abkehr von großen Straßen, auf denen der Verkehr die verkehrsberuhigten Wohninseln umflutet. Wenn sich diese Idee durchsetzt, werden über kurz oder lang auch die liebgewordenen verkehrsberuhigten Zonen in der Innenstadt wieder für den Durchgangsverkehr geöffnet. Die Stadtbürger hätten dann die vielbeschworene Urbanität in Form von Durchgangsverkehr wieder direkt vor der Nase.

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