: Papst ruft in Sarajevo zur Versöhnung auf
45.000 Menschen jubeln Johannes Paul II. im Kosevo-Stadion der bosnischen Hauptstadt zu. Der Besuch setzt auch ein politisches Zeichen für ein multireligiöses Bosnien ■ Aus Sarajevo Erich Rathfelder
Schon einmal wollte der Papst nach Sarajevo kommen. Damals, im September 1994, sorgten serbische Drohungen für den Aufschub der Reise. Am letzten Wochenende wurde sie nachgeholt. Und Papst Johannes Paul II. erinnerte in seiner Ansprache vor 45.000 Besuchern im Kosevo-Stadion noch einmal an die Ereignisse von damals, als er demonstrativ ein politisches Zeichen setzen wollte. Die Zuhörer quittierten seine Rüge, Europa habe in der Vergangenheit nicht immer verantwortlich gehandelt, deshalb mit großem Beifall.
Die Stadt hat den Papst freundlich aufgenommen. Nicht nur die Plakate mit dem Konterfei des Pontifex Maximus prangten in fast jedem Schaufenster. Für den Papstbesuch wurde die Stadt beflaggt, Bäume wurden gepflanzt und die Parks, die entlang seiner Route lagen, wieder auf Vordermann gebracht – sie waren während der Belagerung als Gemüsefelder benutzt worden. Sarajevo wurde für wenige Stunden sogar zur autofreien Stadt. Dafür standen in jenen Straßen, durch die der Papst fahren sollte, in kurzen Abständen Hunderte von Polizisten und an den großen Straßenkreuzungen schwerbewaffnete SFOR- Soldaten. Die Sicherheitsmaßnahmen waren verstärkt worden, nachdem am Sonnabend kurz vor der Ankunft des Papstes 23 Minen unter einer Brücke gefunden worden waren. 200 Busse hatten einige tausend Katholiken aus Kroatien und der Herzegowina nach Sarajevo gebracht. Doch nicht nur Katholiken kamen in das Stadion. Auch viele Muslime nutzten die Gelegenheit, das Oberhaupt der katholischen Christen zu sehen. Die 23jährige Ferida Ahmedović zum Beispiel, die mit ihren beiden kleinen Kindern gekommen ist: „Ich erwarte mir von dem Besuch eine Beruhigung der Lage. Ich wünsche mir so sehr, daß wir wieder wie früher normal miteinander leben können.“ Daß dieser Wunsch auch von anderen geteilt wird, machten die freundschaftlichen Gesten deutlich, die die Umstehenden zeigten.
Lediglich einige Jugendliche aus Westmostar, die kroatische Nationalflaggen mit sich trugen, wollten in dem Papstbesuch die Stärkung ihrer eigenen nationalen Identität sehen. Im Einklang mit der Führung der westherzegowinischen kroatischen Extremisten wollten sie die Veranstaltung in eine Demonstration des Kroatentums umfunktionieren.
Doch dies konnte nicht gelingen. Denn in den Ansprachen des Papstes wie auch der des Kardinals von Sarajevo, Vinko Puljić, gab es für diese Position keine Bestätigung. Allein die Tatsache, daß der Papst auf einen Besuch in Sarajevo bestanden hat und nicht nach Mostar kam, ist als politisches Zeichen zu werten. Im Gegensatz zu den kroatischen Extremisten der Westherzegowina tritt die zentralbosnische Kirche für ein multireligiöses Bosnien ein. Sowohl die Franziskaner Zentral- und Westbosniens wie auch Vinko Puljić selbst haben vor und während des Krieges immer wieder gegen die Teilung Bosnien- Herzegowinas argumentiert und den nationalistischen Extremismus aller Seiten verurteilt.
Die zentralbosnische katholische Kirche, die sich im Mittelalter gegen die sogenannte bosnische Kirche und die Bogumilen behaupten konnte, hält sich selbst für einen der wichtigsten Bausteine der bosnischen Gesellschaft. Nachdem sich der mit der türkischen Herrschaft seit dem 14. Jahrhundert ausbreitende Islam zur stärksten Kraft entwickelt hatte, gelang es nämlich trotz wiederholter Unterdrückung der Katholiken über Jahrhunderte, eine Atmosphäre der religiösen Toleranz zu entwickeln. Daran erinnerte auch Puljić in seiner Ansprache.
Daß Vinko Puljić 1995 zum Kardinal erhoben wurde, gehört ebenfalls zur Strategie des Papstes, die bosnische Gesellschaft zu stützen. Denn mit der Gleichberechtigung der bosnischen Kirche gegenüber der kroatischen geht die Gleichung Katholik ist gleich Kroate nicht mehr auf. Die Erhebung Puljićs zum Kardinal bedeutet also ein Votum für Bosnien.
Daß die muslimische Seite das Bemühen der zentralbosnischen Katholiken honoriert, die Toleranz trotz des Krieges zu bewahren, geht aus den Worten eines ihrer religiösen Repräsentanten, Jusuf Nikević, hervor: „Der Besuch des Papstes ist eine Möglichkeit, der traditionellen Toleranz zwischen Muslimen und Katholiken Ausdruck zu geben, wie sie aus der Geschichte Bosniens bekannt ist.“
Die muslimische Bevölkerung teilt in ihrer übergroßen Mehrheit diese Aussage. Nicht nur der Empfang durch Alija Izetbegović, sondern auch das Interesse am Papstbesuch zeigt das. Keines der Plakate mit dem Bild des Papstes war bis gestern nachmittag in der Stadt beschmiert oder abgerissen worden, bestätigte die Polizei.
Dagegen sahen im Vorfeld die Nationalisten aller Seiten dem Papstbesuch mit gemischten Gefühlen entgegen. Ausdruck dafür waren einige Störmanöver, wie das Legen der Minen am Vortag. Mehrmals wurden in den letzten Wochen Klöster und Kirchen der zentralbosnischen Franziskaner mit Granaten beschossen, eine Kirche wurde sogar gesprengt, wahrscheinlich von muslimischen Extremisten. Ob die Hintermänner der anderen Anschläge aber Muslime waren, bezweifeln die Franziskaner selbst. „Auch kroatische Extremisten könnten die Täter sein“, erklärte ein Franziskaner aus Sarajevo. Die serbische Seite hielt sich während des Papstbesuches bedeckt. Das Mitglied des Staatspräsidiums Momcilo Krajisnik weigerte sich gar, den Papst zu begrüßen, kam jedoch zu der Veranstaltung im Kosevo-Stadion. An einem einheitlichen Staat Bosnien- Herzegowina und der Wiederherstellung der traditionellen toleranten Atmosphäre zeigen ihre Repräsentanten kein Interesse.
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