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Klein-Capri an der Elbe

Modenschau an Lachsfilet, Tafeln wie im 15. Jahrhundert: Die Hamburger Erlebnisgastronomie-Szene ist klein, funktioniert aber  ■ Von Judith Weber

Die Konkurrenz tobt zwischen Fisch und Baumwolle. Zieht ein Kleid mehr Blicke auf sich als der „Lachs nach Art des Hauses“? Werden Schlaghosen der Nudelplatte die Schau stehlen?

Antworten auf solche Fragen sind Geschmackssache, wenn etwa das Altonaer Restaurant Eisenstein seine Gäste mit einer Modenschau unterhält. Während manche Esserin die Models zugunsten ihrer Pizza ignoriert, wird auf anderen Tellern der Salat kalt. Der Mensch dahinter hat sein Abendbrot vergessen: Er starrt auf ein Gewand namens „Lore Lebenslust“, das ebenso kurz wie rot vor ihm auf- und abgetragen wird.

Ein modisches Fünf-Gänge-Menü hat die Desi-gnerInnengruppe „Die Kleidermacher“für diesen und drei weitere Abende zusammengestellt, um RestaurantgeherInnen anderes als nur Essen zu bieten. Außerdem wollen sie ihre Kreationen verkaufen. Schon nach der ersten Gastro-Modenschau haben die Kleidermacher einige Kleider, Röcke und Hosen an den Kunden gebracht, berichtet Designer Bernhard Westermann. 200 bis 2000 Mark kosten die Modelle, die da heißen „Rote Flora“, „Bauernhochzeit in Lank Latum“, „Satansbraten“und „Spiel mir das Lied vom Tod“. Ersteres ist ein braunrotes Kostüm, letzteres grau ummantelt.

Eigentlich sollte auch das Publikum in fünf Etappen speisen und jedem Gang ein Mode-Digestif folgen. Weil im Eisenstein aber alle bestellen, was und wieviel ihnen schmeckt, flitzen zwischen den Tischen Kellnerinnen und Models durcheinander. Einig sind die meisten BesucherInnen sich trotzdem: Die Idee mit der Modenschau ist gut, eben „mal was Neues im Stammlokal“.

Die Gelegenheit zum Restaurantbesuch der anderen Art gibt es in Hamburg selten – wenn man von der Fast-Food-Kette mit einem Namen ähnlich dem der Stadt absieht. Die Tourismuszentrale verweist auf die Frage nach Erlebnisgastronomie in die Hamburger Straße. In der „Kucherie“wird auf einem zweckentfremdeten Heuboden eine Tafel Marke 15. Jahrhundert gedeckt. Die „hochwohlgeborenen Bürgerinnen und Bürger“, wie Betreiberin Kirsten Weiduschat ihre Kunden nennt, verspeisen „Honigbratrippen von heimischer Sau“und Hammerbrooker Sauerkrautsuppe.

Wer seinen Met nicht auf Ex trinkt oder mehr als ein Messer und drei Finger der rechten Hand zum Essen benutzt, kommt in die Schandgeige. Das sind Holzblöcke mit Löchern für Kopf und Hände. Fünf BesucherInnen müssen sich jeden Abend daraus freikaufen – mit einem Lied oder einem Gedicht. „Wenn es beleibtere Herren sind, lasse ich sie auch mal einen Bauchtanz aufführen“, erzählt Weiduschat.

Knapp 100 Mark kostet ein Essen und damit zehn Mark weniger als „Störtebekers Seefahrergelage“. Bei dieser Art von Erlebnisgastronomie werden die Gäste auf ein Schiff verladen und vier Stunden lang essend und trinkend auf der Elbe umhergeschippert. Ein ähnliches Angebot macht „Kapitän Prüsses Bordparty“. „Relativ große Nachfrage“bestätigt Mitarbeiterin Sonja Nötzold dem Unternehmen. Denn wenn es dunkel sei und das Boot Blankenese passiere, „sieht das aus wie Klein-Capri an der Elbe“.

Dann lieber Pizza im Eisenstein, findet eine Besucherin: „Die Modenschau ist wenigstens unaufdringlich.“Dabei macht gerade das Gegenteil den Reiz von Erlebnisgastronomie aus, glaubt Nötzold: „Auf einem Schiff ist man so eng beieinander, da kann kein Gast weg.“Das gleiche gilt für die Kucherie. Bänkelsänger und Moderationskunst brächten die Gäste dazu, „zu einer Gruppe zu werden“, sagt Kirsten Weiduschat. Polonaise, Tanzen und Lieder – alles kein Problem.

Von Gruppengefühl sind die Eisenstein-Gäste weit entfernt. Als die ersten ihre Pizza aufgegessen haben, wird nach der Kellnerin gewunken und gezahlt. Der letzte Gang der Modenschau? Zweitrangig.

Auskunft über „Erlebnisgastronomie“erteilt die Tourismuszentrale Hamburg, 3 00 51-0.

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