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Mut zur Gedächtnislücke

Schilleroper auf St. Pauli: Bezirk setzt Geschäft mit der Wohnungsnot wider alle Absprachen mit der Stadtentwicklungsbehörde fort  ■ Von Heike Haarhoff

Flüchtlingsunterkunft statt Stadtteilzentrum: Die Sanierungsziele für die Schilleroper auf St. Pauli rücken in unerreichbare Ferne. Eigentümer Eberhard Erhardt will das ehemalige Varieté-Theater weiterhin als lukratives Obdachlosen- und Asylbewerberheim nutzen und klagt deswegen gegen die Stadt. Denn diese verpflichtet ihn seit Jahren per Bebauungsplan und Sanierungssatzung, den maroden Rundbau am Neuen Pferdemarkt in ein Stadtteilzentrum umzubauen.

Doch anstatt endlich durchzugreifen, hätschelt der Bezirk Mitte seinen Widersacher und setzt die Geschäfte mit Erhardt und der Wohnungsnot jetzt auch noch fort: 88 afghanische Flüchtlinge aus der Amsinckstraße sollen Anfang Mai und für mindestens zwei Jahre in die frisch renovierte Schilleroper einziehen. – Entgegen der klaren Anweisung durch die Stadtentwicklungsbehörde (Steb) an den Bezirk, eine weitere, zeitlich befristete Nutzung als Flüchtlingsunterkunft davon abhängig zu machen, daß Erhardt zuvor seine Klagen und Dienstaufsichtsbeschwerden gegen die Stadt zurückzieht.

„Einvernehmlich“hätten die Teilnehmer der Besprechung am 22. Januar 1997 im Bauamt Mitte sich darauf „verständigt“, erstens die „sozialverträgliche Belegung“sicherzustellen und zweitens ein „bilaterales Gespräch zwischen Bezirksamt und Eigentümer zur Abstimmung der Vertragsbedingungen ... (Rücknahme der anhängigen Rechtsverfahren sowie Dienstaufsichtsbeschwerde)“zu führen. So jedenfalls steht es in dem internen „Gesprächsvermerk“der Steb über das Treffen, an dem auch Baudezernent Peter Gero teilnahm. Weiter heißt es: „Sollten die ... Voraussetzungen nicht erfüllt werden (können), sprechen sich die Teilnehmer einvernehmlich für die Projektaufgabe aus (keine Anmietung der Räumlichkeiten durch die Freie und Hansestadt Hamburg).“

Geschehen ist das Gegenteil. Schilleropern-Eigentümer Erhardt habe bislang „gar nichts zurückgezogen“, bedauert Steb-Sprecher Bernd Meyer. Der Mietvertrag für die Flüchtlingsunterbringung (18 Mark pro Nacht und Kopf) dagegen ist geschlossen, die Schilleroper inzwischen tatsächlich renoviert. Für Baudezernent Gero gibt es deswegen auch keine Bedenken mehr: Über die Rücknahme der Klage habe er „mit Herrn Erhardt zwar noch nicht verhandelt“, bekannte er am Freitag. Das aber sei nicht weiter schlimm, denn „alles zu klären, bevor die Flüchtlinge kommen, geht gar nicht“. Im übrigen könne er sich an die Vereinbarung mit der Steb nicht erinnern: „So eine Anweisung kenne ich nicht.“Bezirksamtsleiter Rolf Miller (SPD) gibt sich ebenso uninformiert und sieht „keinen Anlaß zur Vermutung, daß die Schilleroper nicht auf gutem Wege sei“.

Die Steb schon: Spätestens 1999 will sie das Wohnviertel rund um die Schilleroper aus der Satzung als „Sanierungsgebiet“entlassen. Ohne dieses baurechtliche Instrument wird es schwierig, Einfluß auf sanierungs-unwillige Investoren zu nehmen. „Aus fachlicher Sicht besteht deshalb ein hohes Interesse, die zeitnahe Umsetzung der Sanierungsziele im Auge zu behalten“, ermahnte die Steb den „sehr geehrten Herrn Gero“bereits mit Schreiben vom 8. Januar 1997.

Gerüffelt wurde schon damals das eigenmächtige Vorgehen des Baudezernenten, auf einen „städtebaulichen Vertrag zu verzichten“. Gero hatte Erhardt im September 1996 statt eines rechtsverbindlichen Vertrags bloß eine vage Absichtserklärung über die Umwandlung der Schilleroper in ein Stadtteilzentrum abgerungen. Das aber immerhin „noch in diesem Millennium“.

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