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Im Fernsehen Fensehfußball nahsehen

Heute womöglich zum letztenmal in gewohnter Form: Das fußballphilosophische Ritual mit Günther Jauch und Franz Beckenbauer, Marmorkuchen und Klatschkulisse unter einer Kölner Tiefgarage  ■ Von Bernd Müllender

Ankunft um 16 Uhr 30 in Köln/ Bonn mit dem Lufthansa-Flug LH935, aus München kommend. Ein grauhaariger Mann mit goldrandiger Designerbrille, unauffällig elegant gekleidet, entsteigt der Business Class. Er ist auf dem Weg zur Spätschicht. Wie jeden Mittwoch, wenn Europas Fußballchampions nach dem Ball treten.

Dann hat Franz Beckenbauer, die kaiserliche Lichtgestalt des deutschen Fußwerks, den Präsidentensessel seines FC Bayern verlassen, die Kitzbüheler Steuerheimat und alle Fairways dieser Golfwelt. Dann gibt er den Mattscheibenanalytiker und den Co- Charmeur und wird uns vier Stunden lang live des Balles tückisch Flug erklären.

Der RTL-Fahrdienst chauffiert ihn zum Kölner Hyatt Regency, kurz erfrischt er sich, um dann seinen Arbeitsplatz aufzusuchen: Studio3 im RTL-Sendekomplex Köln-Junkersdorf, 5. Tiefgeschoß, gleich unter den Parkdecks. Ankunft 18 Uhr 25. Ein Servus seinem Spezl Günther Jauch, man plauscht, beredet dies und auch das. Dann trinkt der Franz noch einen Kaffee. Und wartet.

Gastgeber Jauch, „der sympathischste Prominente Deutschlands“ (Gala) trifft „den Liebling des Publikums“ (Kölner Stadtanzeiger), der sich selbst einmal „Lieblingskind des Schicksals“ nannte. Seit drei Jahren geht das so bei „Anpfiff extra“. Aufgabe der beiden ist es, den Abend „feierlich zu zelebrieren“ (RTL). Heißt: reden und reden und analysieren. Sieben Millionen Menschen (30 Prozent Marktanteil) sehen sich das immer an. An diesem Mittwoch, es ist Halbfinal-Hinspiel zwischen Borussia Dortmund und Manchester United, werden zeitweise über elf Millionen Menschen eingeschaltet haben – so viele wie nie zuvor.

Schöner als Fußball ist nur Fußball im Fernsehen. Am schönsten aber ist es, und das gibt es in TV- Deutschland nur bei dieser Veranstaltung –, beim Sender ganze Spiele live auf einer Leinwand zu gucken. Und so sind gut 200 Glückliche unter die vier Flutlichtmasten-Imitate ins Studiostadion gekommen. Fernsehfußball im Fernsehen fernsehen! Und dabei den Franz und den Günther nahsehen. Auf die Eintrittskarten (15 Mark) haben sie monatelang gewartet.

Um 20 Uhr 01 erscheint der Günther. Er macht den Warm-upper, erteilt Winkverbote und Trinkgebote, flapselt und witzelt routiniert herum. Bringt seinen

Regelgag von den verpönten weißen Socken in der ersten Reihe – wie jeden Mittwoch, wenn Europa kickt. Das Publikum kommt in Stimmung. Die Fanfare kommt. Und auch der Franz. Die Kulisse gibt, wie vorher angewiesen, ihr „entfesseltes Klatschen“.

Und alle sind Zeuge, gleich zu Beginn, wie der Günther den Franz bittet um die Analyse der „Stärken und Schwächen“ von Manchester. Das Einspielband läuft, und der Franz – er schweigt. Im Studio. Über den Sender geht ein Konservenkaiser, zwei Stunden vorher produziert. Der echte Franz gähnt zu seinem Tondouble. Dann „Kurztalk und Abgabe in die Werbung“. Länge Kurztalk: 0:20, dafür wirklich live; Länge Werbung: 4:32. Franz schaut erstmals zur Armbanduhr.

Kaum beginnt das Spiel, verwaist das Studio. Ein Großteil der Klatschkulisse verzichtet auf die Großleinwand und haut ab in den kargen Kantinenraum vor den Einfachmonitor unter der Decke. Hier gibt es die fußballkulinarischen Klassiker Bier, Wurst, Chips. Und hier wird gegrölt. Momentweise zumindest. Tribünenstimmung. Wie im Leben.

Zusammen mit Reporter Marcel Reif, dem Arafat-Bart aus der Bit-Reklame, bilden G&F, so RTL, „das Dream Team, jeder ein Virtuose, zusammen ein Mega- Terzett“. Oft ist Werbepause. Die leitet Jauch mit seinen virtuosen „Gleich“-Sätzen ein. „Wir sind gleich wieder da“ oder „Gleich bei uns“. Mit Werbepausen kennt er sich aus: die zwischen den Mittwochsauftritten. Dann vermietet der „Stern-TV“-ler und „Sportstudio“-Moderator sein Antlitz gegen Entgelt an Versammlungen dubioser Versicherungsfirmen, an Konzerne, Kongresse. Oder er macht den Entertainer bei Festen des FC Bayern oder beim 50. Geburtstag seiner Ballmajestät persönlich. Man kennt sich.

Das Spiel beginnt. Reif reportiert. Augenblicklich ziehen sich die beiden Spielevermittler in eine düstere Ecke des Studios zurück, wo sie samt einem Redakteur bei Marmorkuchen auf je einem eigenen Monitor das Spiel verfolgen. Eben noch gaben sie die Leidenschaftsmatadore, die fan-gleich das Spiel erwarten. Jetzt verziehen sie keine Miene mehr. Aus Reden- Reden-Reden wird Schweigen und Reglosigkeit. Null Kommunikation untereinander.

Besonders Beckenbauer ist völlig in sich gekehrt. Welche Wohltat, sagen seine Gesichtszüge, daß es ein Recht auf eigene Fassade gibt. Er läßt den Blick nicht vom Monitor. Kaut ein Kaugummi. Ihn, den Fachmann, interessieren die Feinheiten des Spiels. Nicht das Medientheater. Man könnte meinen, er nerve sich selbst dabei. Fragt sich: Warum nur tue ich mir das hier an? Jauch nimmt zwischendurch kurze Hinweise des beisitzenden Redakteurs auf, der mit der Regie verohrstöpselt ist. Ansonsten wartet er. Dortmunds Kree trifft fast das Tor, große Erregung beim Reporter, im Stadion, im Tiefgeschoß ringsum – und Günther gähnt. Dabei entwickelt er starken Faltenwurf am Hals. Der „ewige Junge“ (Stuttgarter Zeitung) „mit dem Lausbubenblick“ (TV Today) ist ja auch schon 40. Nur im TV kommt er im Schwiegersohnklischee wie ein U30 daher.

Ab der 40. Spielminute werden alle wieder ins Studio gebeten. RTL-Fußball ist paradox: Davor, danach und in der Pause muß man hier die Plätze einnehmen, während des Spiels darf man herumlatschen. Karl aus Dortmund hat indes die rote Karte bekommen für das gröbste Foulspiel, das im TV- Fußball denkbar ist: Er wäre bei Günthers Abmoderation fast ins Bild gerannt, die Aufnahmeleiterin persönlich hatte ihn im letzten Moment weggegrabscht. Studioverbot! Der Franz hatte gelächelt.

Die beiden sitzen wieder im Scheinwerferlicht. Im Off noch, wegen der Werbung. Günther sagt, was jetzt so komme („Halbzeitanalyse 1 Minute 30“). Franz nickt. Günther sagt, die 2. Halbzeit komme. Wir freuen uns darauf. Und es werde bestimmt sehr spannend. Ja, sehr. Bis gleich. Werbung. Ruhe. Beide wieder schweigend ins Monitoreck. Einer aus dem Publikum ruft: „Nu gebense dem Hearn Beckenbauer doch mal wat zu trinken. Der staubt ja, der Kuchen.“ Franz sagt: „Stimmt.“ Und lächelt wie amüsiert. Er bekommt einen Milchkaffee.

Es gibt sogar zwei Dauerkarteninhaber im Studiopublikum: das Ehepaar Kolle aus Kölle. Man sei, sagt er, mit dem Franz bekannt. Musikredakteur Guido aus Baden- Baden hat den Eintritt von Bekannten geschenkt bekommen. Die Sendung sei ihm lieber gewesen als das Originalspiel, sagt er, weiß aber keine rechte Begründung. Vielleicht dies: „Ich mag den Beckenbauer.“ Alexandra, Werbeagentin aus Köln, mag ihn auch, „als PR-Profi, da können wir alle noch viel lernen“. Als Mann auch? Sie denkt, wägt, grinst. Und lacht: „Nee, nicht wirklich.“ Aber das Charmeure-Duo zusammen sei ein gutes Paar: „Da gucken auch Frauen eher mal Fußball.“ Ihr selbst mußte erklärt werden, daß Dortmund in Gelb spielt.

Kurz nach 22 Uhr ruft Reporter Reif: Tor. Alle rufen: Tor. Franz und Günther nicht. Günther sagt später: Es sei so spannend gewesen, „ein Dicke-Backen-Spiel“ vom Durchpusten. Überall im Studio hätte er das gesehen. Sagt er. Aber wie? In seinem Monitor?

Wieder Werbung. Der Franz muß bezahlt werden. Zur Golf-Reklame (Auto) reckt er sich vor. Nachher analysiert er die Qualität des Dortmunder Rasens, da kenne er sich aus, weil er halt in einem früheren Leben Gärtner gewesen sei. Alle lachen. Vom Kaiser weiß man, daß er an Wiedergeburt glaubt. Als er einmal von seinen Phantasien erzählte, ein Kind zu gebären, kommentierte die FAZ: „Früherer Teamchef plant Comeback als Frau.“

Jauch, gebürtiger Münsteraner, comebackt immer wieder an seinem Studienort Berlin (zwei Semester Politik). Als Werber für Olympia 2000 gab er sich her, dann als Frontmann für die Fusion Brandenburg-Berlin und jetzt als Schirmherr der aufstiegsbereiten Hertha-Kicker. Vielleicht erstmals erfolgreich? Anbiedern, sagt er, will er sich nicht: „Mit Hertha-Pudelmütze wird man mich nicht sehen.“

Nach 23 Uhr werden die RTL- Helfer nervös. Denn immer mehr Kulissenmenschen wollen nach Hause. Dortmunds 1:0-Sieg ist abgejubelt, die Ausschnitte des zweiten Spiels interessieren nur mäßig. „Ja, darf ich jetzt endlich gehen?“ fragt einer unwirsch. Er darf. „Wir halten niemanden fest“, sagt ein Security-Mann. Und setzt sich selbst ins Publikum, Lücken füllen.

Franz und Günther müssen weiterreden. Sich immer bestätigen. Nie richtig widersprechen. Höchstens ein bißchen necken. Früher kritzelten sie sogar Pfeile und Kringel auf den Bildschirm. Als taktische Erläuterungen. Hat man weggelassen – zu anspruchsvoll. Zwei Jahre lang gab es auch die Cocktailbar-Kulisse im Studio mit einer leibhaftigen Shakerin, die an jedem Mittwoch, wenn Europa kickte, gekommen war, um nichts zu shaken zu haben. Wurde abgebaut. Weil es höchstens ein Kölsch gab. Oder ein Weißbier im Kölschglas für den Franz.

Um 23 Uhr 40 analysiert Franz erneut den Zeigerstand seiner Armbanduhr. Um 23 Uhr 48 schon wieder. Sehr lang alles. Günther verhaspelt sich einmal. Der Franz grinst schelmisch im Off. Letzte Werbepause. Franz sieht im Sendeplan nach der Länge: Noch mal fast vier Minuten. Letzte Rückblicke nach Dortmund. Ein schwarz-gelber Fan winkt. Franz winkt zurück. Man lacht im Studio.

Ende der Sendung: 23 Uhr 59. Der erstmalige Versuch, einen Dortmunder Spieler in 54 Minuten (laut Sendeplan) vom Spielfeld in Dortmund per Fahrdienst ins Kölner Studio zu schleifen, ist gescheitert, weil der Kicker, Möller war's, „kurzfristig abgesagt“ (Aufnahmeleiterin) habe. Vielleicht klappt das heute abend – in 55 Minuten aus Manchester, per Lear-Rakete?

Fünf nach Mitternacht. Die Kulisse hat das Spielfeld gestürmt. Verlängerung für Autogramme und Fotos mit den Analysten. „Ja mei.“ Beim Abgang wird der Kaiser taz-exklusiv richtig gesprächig: „Nein, ich komme doch gar nicht mehr dazu.“ Zu viele Termine. „Kannst nichts machen, zuletzt habe ich im Herbst in Südafrika gespielt, vor einem halben Jahr.“ Handicap 8 habe er derzeit, ach, und nach Augusta, zu den Golf-US Masters, ja, da wäre er gern gefahren. Tiger Woods gucken! Aber: keine Zeit. Verpflichtungen. Der Fußball halt. „Ich schau' es mir im Fernsehen an. Da freu' ich mich drauf.“

Intern noch kurze Sendekritik im kleinen Rahmen. Der peinlicherweise eingeblendete Zwischenstand des viel später gesendeten zweiten Spiels – welche Panne! Schon im Studio hatte Jauch, wie erregt wirkend, „Scheiße Fehlplanung“ gesagt. Dann Fahrdienst zum Hotel. Ganz früh der Wecker. Um 7 Uhr 40 kommt schon wieder der Chauffeur. Zum Flughafen. Ab nach München, Franz und Günther diesmal gemeinsam, LH918, Start 8 Uhr 40. „Wir sind gleich wieder da.“ Ja, heute abend schon, 20 Uhr 15.

Und – wahrscheinlich, das Finale ausgenommen – zum letztenmal in gewohnter Form. Denn: Sollten die Bayern selbst, wie zu erwarten, nächstes Jahr bei den Champions spielen, muß der Kaiser „diese Gaudi“, wie er es nennt, drangeben. Höchstens noch, hat er gesagt, aus der Ferne analysieren. So schade. Servus, Franz, wir werden dich sehr vermissen.

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