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Neues schwedisches Modell zur Arbeitsbeschaffung

■ Kommunen zahlen Arbeitslosen ein Draufgeld und beschäftigen sie dafür in Dienstleistungsbetrieben, die sich die Gemeinden sonst nicht leisten könnten

Kalmar (taz) – Der schwedische Ministerpräsident Göran Persson preist die südschwedische Hafenstadt Kalmar als Vorbild für ganz Schweden. Das „Kalmar-Modell“ der „QualitätsverbesserInnen“ solle im ganzen Land eingeführt werden, um die nicht sinken wollende Arbeitslosenrate nach unten zu drücken.

Linda Ekvall ist eine von 72 kommunalen „QualitätsverbesserInnen“ in Kalmar. Ihre Aufgabe ist es, den 95 PensionärInnen im Altersheim Stensberg das Leben etwas angenehmer zu machen. Sie soll Zeit für sie haben, wenn das Stammpersonal zu gestreßt ist; sie mit dem Rollstuhl oder am Arm zu einem Spaziergang in die Frühlingssonne mit nach draußen begleiten, Einkäufe machen oder eine Kartenrunde mit ihnen spielen. Die „kleinen Extras“ eben, für die früher einmal eine großzügiger bemessene Belegschaft Zeit hatte, die aber in den Zeiten der Personalkürzungen als erste weggefallen waren. Die „Qualität in der Altersfürsorge anheben“, wie es im amtsschwedisch heißt.

Linda Ekvall ist Mitte 20, ausgebildete Krankenschwester, seit der Berufsausbildung aber fast durchgängig arbeitslos. „QualitätsverbesserInnen“ wie Linda werden aus dem großen Heer arbeitslosen Krankenpersonals rekrutiert, arbeiten 90 Prozent der tariflichen Arbeitszeit, bekommen dafür ihr normales Arbeitslosengeld (75 Prozent des Tariflohns) sowie einen Aufschlag von 15 Prozent – zusammen also 90 Prozent des Tariflohns. Die Kommunen bekommen also für nur 15 Prozent des normalen Lohns MitarbeiterInnen, um eine bessere Qualität in ihrer Kinder-, Kranken- und Altersfürsorge zu gewährleisten.

Im gerade vorgelegten Nachtragshaushalt hat die Regierung Persson den Kommunen als Anreiz Zusatzmittel versprochen, um ihren 15-Prozent-Anteil am „Kalmarer Modell“ selbst bei leerem Stadtsäckel finanzieren zu können.

„Eine Lösung des Arbeitslosenproblems ist das nicht“, gesteht Lars Rune-Ehrnborg, Mitglied der Kommunalarbeitergewerkschaft in Kalmar und einer der Köpfe hinter dem Modell: „So war es aber auch nie gemeint, sondern primär dafür, um den Arbeitslosen eine sinnvolle Beschäftigung zu bieten, die auch der Gesellschaft etwas bringt.“ Die Gewerkschaft, die das Modell vor gut einem Jahr mit der Arbeitsvermittlung und der Kommune ausgetüftelt hat, hat einen allgemeinen Entlassungsstopp in den Bereichen ausgehandelt, wo „Modellarbeitslose“ beschäftigt werden.

Sie achtet auch streng darauf, daß die „QualitätsverbesserInnen“ nur mit zusätzlichen Aufgaben beschäftigt werden. „Sonst besteht die Gefahr, daß die Kommunen ihr normales Personal entlassen und über die Qualitätsverbesserer die Arbeit fast gratis ausgeführt bekommen“, begründet Tommie Andersson vom Kalmarer Arbeitsamt diese doppelte Absicherung. Die Grenzen zwischen „normaler“ und „Zusatzarbeit“ seien aber fließend, weshalb eine Hochschule die ersten Erfahrungen mit dem Modell derzeit auswerte, um exaktere Grenzen ziehen zu können.

Der kommunale Arbeitgeberverband gibt sich skeptisch. Lennart Johnasson, dort für Sozialfragen zuständig, meint: „Damit wird nur die Arbeitslosenstatistik geschönt, und darüber hinaus ist es eine Sackgasse: Leute werden in ihren Berufen festgehalten, für die es keinen Bedarf gibt, statt sie etwas anderes suchen oder eine Ausbildung machen zu lassen.“

Tommie Andersson vom Arbeitsamt widerspricht: Alten- und Krankenpflege sei ein Beruf mit Zukunftsaussichten. In Schweden gebe es reichlich ungedeckten Bedarf, da die Einsparungen zu teilweise inhumanen Zuständen im Pflegesektor geführt hätten. Und die Arbeitslosenrate in Kalmar liege jedenfalls jetzt ein Stück unter dem Landesdurchschnitt: Tatsächlich sind 12,7 Prozent ohne reguläre Beschäftigung, die Statistik führt aber angesichts diverser Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nur 6,8 Prozent als „offen arbeitslos“.

Doch der Vorwurf, die Maßnahme sei eine Sackgasse, ist nicht von der Hand zu weisen. Von der halbjährigen Beschäftigung als „Qualitätsverbesserer“ gibt es keinen Weg zu einer festen Arbeit. Weder auf dem Papier noch nach den ersten Erfahrungen in Kalmar in der Wirklichkeit. Auch nicht für Linda Ekvall: „Für mich privat ist es in Ordnung, jobben zu können und dafür etwas mehr Geld zu bekommen. Aber im Grunde halte ich nicht viel von dem System. Es wäre genug Bedarf für richtige Arbeitsplätze. Wir bieten den Alten keinen Luxus, sondern nur das, was normal sein sollte. Reinhard Wolff

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