: Richter läßt Safwan Eid hoffen
■ Gericht im Lübecker Brandprozeß: Beweislage reicht bislang nicht aus, um den Angeklagten Eid zu verurteilen
Lübeck (AP) – Die im Lübecker Brandprozeß vorgelegten Beweise reichen nach Ansicht des Vorsitzenden Richters bisher nicht für eine Verurteilung des angeklagten Safwan Eid aus. Bei einer vorläufigen Bewertung der vergangenen 52 Prozeßtage erklärte Richter Rolf Wilcken gestern, er sehe keine hinreichende Belastung. Die Beweisaufnahme habe zwar ergeben, daß es im Haus Streit gegeben habe; ob dieser aber Motiv für eine Brandstiftung sei, erscheine „sehr, sehr fragwürdig“.
Seit September letzten Jahres muß sich der Libanese Safwan Eid vor der Ersten Großen Strafkammer des Landgerichts wegen besonders schwerer Brandstiftung verantworten. Bei dem Brand in dem Lübecker Flüchtlingsheim am 18. Januar 1996 waren zehn Menschen ums Leben gekommen. Als Motiv für die Tat hatte die Staatsanwaltschaft Rache nach einem Streit mit Hausbewohnern angenommen. Über 100 Zeugen und zahlreiche Sachverständige sind nach Angaben von Wilcken gehört worden. Das Gericht habe festgestellt, daß es einen Brandherd im Flurbereich des ersten Stockwerks gab, sagte Wilcken. Darin seien sich alle ernstzunehmenden Sachverständigen einig. Unklar werde aber bleiben, ob Brandbeschleuniger verwendet worden sei; auch die Brandausbruchszeit könne kaum eingegrenzt werden. Keiner der Sachverständigen habe zudem überzeugend erklärt, wie und wann der Brand im Vorbau entstanden sei. Tür und Fenster seien nach Ansicht der Sachverständigen geschlossen gewesen, über die Scheiben gebe es keine Erkenntnisse. Die Verteidigung von Eid geht aufgrund des Brandes im Vorbau von einem Anschlag von außen aus.
Völlig ungewiß ist nach Ansicht des Richters auch das Schicksal von Silvio A. Die Leiche des verbrannten Mannes war im Vorbau gefunden worden. Aber in der Lunge und den Atemwegen konnten keine Spuren von Kohlenmonoxid gefunden werden. Auch Spuren von Gewalteinwirkung entdeckten die Gerichtsmediziner nicht. Ausdrücklich betonte Wilcken, das Gericht sei nicht gehalten, über Schuld oder Unschuld anderer zu befinden. Die Verteidigung des Angeklagten hatte immer wieder vier Männer aus Grevesmühlen ins Spiel gebracht, die der rechtsradikalen Szene zugerechnet werden und von denen drei in der Brandnacht am Tatort waren. Sie waren zunächst als Verdächtige festgenommen, aufgrund von Alibis jedoch wieder freigelassen worden.
Alles, was zu den vieren angeführt werde, sei in diesem Verfahren nur unter dem Aspekt einer möglichen Entlastung des Angeklagten zu sehen, sagte Wilcken. Entlastung aber setze eine hinreichende Belastung voraus, die „sehe ich als nicht gegeben“. Wilcken forderte die Verfahrensbeteiligten auf, unter diesem Aspekt die Relevanz der vorliegenden Beweisanträge zu überdenken. Nach seinen Angaben gibt es noch rund 50 unerledigte Beweisanträge.
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