: Rehabilitation zweiter Klasse
Der Rechtsausschuß des Bundestags verabschiedet einen von Koalitionsparteien und SPD getragenen Entwurf zur Rehabilitierung von Wehrmachtsdeserteuren. Kritik von Bündnisgrünen ■ Von Anita Kugler
Jahrzehnte haben ehemalige Deserteure der Wehrmacht und deren Angehörige auf eine Rehabilitierung gewartet. Noch heute gelten die im Dritten Reich gegen sie verhängten Urteile, noch heute sind sie vorbestraft. Gestern nun verabschiedete der Rechtsausschuß des Bundestags einen gemeinsamen Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP, der nach jahrelangem Tauziehen den Weg zur Rehabilitierung und Entschädigung von Deserteuren, „Wehrkraftzersetzern“ und Kriegsdienstverweigerern – im Prinzip – freigibt. Mitte Mai soll dieser Antrag in den Bundestag eingebracht und mit den Stimmen der genannten Fraktionen verabschiedet werden. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen scheiterte im Rechtsausschuß mit ihrem weitergehenden Gesetzentwurf. Bei der Abstimmung über den Entschließungsantrag enthielt sie sich – wie auch die PDS.
Dennoch: Das mit großer Mehrheit verabschiedete Fünf-Punkte- Papier ist die erste parlamentarische Erklärung zur Rehabilitierung von Wehrmachtsdeserteuren. Festgestellt wird, daß der Zweite Weltkrieg ein „Angriffs- und Vernichtungskrieg war, ein vom nationalsozialistischen Deutschland verschuldetes Verbrechen“. Festgestellt wird ebenfalls, daß „die von der Wehrmachtsjustiz während des Zweiten Weltkrieges verhängten Urteile unter Anlegung rechtsstaatlicher Wertmaßstäbe Unrecht waren“. Dieser Passus bedeutet nicht die juristische Kassation der Militärgerichtsurteile, ermöglicht aber eine „Entschädigung“ für die Opfer der Wehrmachtsjustiz oder ihren Angehörigen. Die Entschließung sieht eine einmalige Leistung von 7.500 Mark vor, vorausgesetzt, die Anträge sind bis zum 31. 12. 1998 gestellt.
Sowohl Volker Beck von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen als auch der Vorsitzende der „Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz“, Ludwig Baumann, halten den Beschluß für unzureichend. „Es ist eine Rehabilitation zweiter Klasse“, meint Baumann, 75 Jahre alt und Betroffener. Die Wehrmacht habe einen verbrecherischen Auftrag besessen, folglich habe sie auch keinen Anspruch auf den Gehorsam ihrer Soldaten gehabt. Deshalb seien Deserteure niemals zu Recht verurteilt worden und müßten deshalb pauschal rehabilitiert werden. Die Entschließung verzichtet zwar auf Einzelfallprüfungen. Dies geschehe aber nicht aus Einsicht in das Unrechtssystem, sondern aus „rein praktischen Gründen“, so Beck. Festgehalten wird in der Entschließung, daß es sehr wohl Urteile gegeben hat, die auch nach heutigen Maßstäben zu Recht erfolgten. Bloß könnten diese nicht mehr herausgefiltert werden: „Mehr als 50 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg Untersuchungen über jede einzelne Desertation anzustellen ist unmöglich.“ Für unzulänglich halten Beck und Baumann auch die Entschädigungsregelung. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hatte in ihrem Gesetzentwurf eine Einmalzahlung von 5.000 Mark sowie eine Monatsrente von 500 Mark gefordert.
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