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Berlin hat Hundescheiße, Washington nicht

Berlin hat solarbetriebene Parkscheinautomaten, ein ehemaliger Offizier plant den Aufbau eines Yogi-Geschwaders, das ganz Deutschland inklusive Kanzler in eine Decke der Harmonie wickeln soll – es gibt Gründe, wieder hier zu sein  ■ Von Andrea Böhm

Es war einfach falsch, zurückzukommen.

Fast fünf Jahre habe ich in dieser Stadt verbracht und gewartet und gehofft und gewartet und gezittert. Vergebens. Kaum schaukeln meine Möbel über den Ozean Richtung Europa, schaffen die Washington Bullets den Einzug in die Play-offs. Und ich bin nicht da.

(Jetzt weiß außer ein paar Sportgebildeten wieder kein Schwein, wovon ich rede. Die Washington Bullets sind das Basketballteam der Hauptstadt der einzig übrig gebliebenen Supermacht und haben ihre Fans, darunter meine Wenigkeit, jedes Jahr im April in eine Frühlingsdepression gejagt, weil sie die Qualifikation für Finalrunden der Basketball- Liga mehr oder weniger deutlich vergeigten.)

Meine Freundin Clarice hat mir eine E-Mail geschickt. „Ich habe Karten für das erste Heimspiel gegen die Chicago Bulls. Nahe am Spielfeld. Mit ein bißchen Glück ergattere ich ein paar Schweißtropfen von Michael Jordan. Soll ich dir welche aufheben? Ansonsten gibt's nicht viel Neues. Clinton wuselt sich durch seine Skandale; mein viertes Autoradio wurde gestern geklaut; im Norden steht wieder alles unter Wasser; und sie haben eine Orgasmuspille für Frauen entwickelt. Bye, Clarice. P.S.: Geht's dir gut da drüben?“

Das mit der Orgasmuspille stellte sich im übrigen schnell als Ente heraus. „A duck“, wie meine Freundin ganz richtig übersetzte.

Meine Freundin Clarice hat nie ganz eingesehen, warum ich unbedingt in eine Stadt zurückgehen wollte, die so gut wie pleite ist und durch eine gigantische Baustelle von sich reden macht; die demnächst einen Haufen indignierter, wichtigtuerischer Bundesbeamter und -politiker aufnehmen muß und bereits einen Haufen inkompetenter wichtigtuerischer Stadtpolitiker hat; wo man auf der Suche nach einem Parkplatz einen halben Tank leerfahren kann und die Bürgersteige manchmal aussehen, als wäre dem lieben Gott die Mülltüte geplatzt. „Was willst du da“, fragte sie, als ich meine Kisten packte. „Das meiste bietet dir Washington doch auch, bloß ist das Wetter hier schöner.“

Überhaupt hat man nach fünf Jahren „original U.S.A.“ in Deutschland das Gefühl, in einer schlechten Kopie gelandet zu sein. Im Fernsehen imitiert Harald Schmidt scham- und hemmungslos die NBC-Talkshow von David Letterman; im Osten kopiert man amerikanische Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt minus Jobwunder; die Schreinemakers scheitert kläglich an der Rolle der Oprah Winfrey der deutschen Privatsender; Ulrich Wickert schnappt sich Idee und Vorlage des US-Moralpapstes William Bennett und propagiert seitenweise Sitte und Anstand; und während in den USA immer noch an den wohlgenährten Deutschen geglaubt wird, der alle zwei Monate zur Kur fährt, proben meine Landsleute längst Strategien zur Leistungssteigerung nach amerikanischem Muster: Man geht zum Persönlichkeitstrainer, dem Quacksalber der Postmoderne, der einem mit Infotainment und Handauflegen beibringt, wie man Arbeitslosigkeit überwindet, Klaustrophobie heilt oder den Gewinnerinstinkt freilegt.

Nicht einmal die Jünger der kalifornischen „Heaven's Gate“- Sekte mit ihrem irregeleiteten Wunsch nach einer Mitfahrgelegenheit auf dem Kometen Hale Bopp erscheinen in ihrer Verrücktheit ausschließlich amerikanisch, seit ein ehemaliger Offizier der Bundesluftwaffe mittels Meditation oder Nirvana oder so etwas ähnlichem den Aufbau eines Yogi- Geschwaders plant, das ganz Deutschland inklusive Kanzler in eine Decke der Harmonie wickeln soll. Das habe ich meiner Freundin Clarice geschrieben, worauf sie mir postwendend eine E-Mail zurückschickte: Ich hätte, sagt sie, ab sofort kein Recht mehr auf meinen Lieblingsausspruch: „Die spinnen, die Amis.“

Es gibt trotzdem gute Gründe, wieder hier zu sein: Das Berliner Leitungswasser ist im Gegensatz zum Washingtoner trinkbar. Berlin hat solarbetriebene Parkscheinautomaten, Washington kalorienbetriebene Parkpolizisten, die mit allen Mitteln ihr Plansoll an Strafzetteln erfüllen müssen.

Von solchen Details einmal abgesehen, stelle ich an mir Verhaltensweisen fest, die nicht mehr darauf ausgerichtet sind, die Konfrontation mit einem Schußwaffenbesitzer zu vermeiden. Im Straßen- und öffentlichen Nahverkehr lege ich wieder die Berlin-typische gesunde Konfliktbereitschaft an den Tag, die man sich als unbewaffnete Bürgerin in amerikanischen Großstädten verkneift, weil man nie weiß, welche durchlöchernden Folgen der Griff des Kontrahenten – oder der Kontrahentin – ins Handschuhfach oder in die Jackentasche haben kann. Aufgrund der notorisch hohen Verbreitung von Revolvern, Uzis und Pumpguns in der US-Hauptstadt haben die Washington Bullets (zu deutsch: Kugeln) nun beschlossen, sich in „Washington Wizards“ (Zauberer) umzubenennen.

Andererseits werden auch kleine Akte der Höflichkeit wieder möglich: Man kann hier Leuten die Haustür aufhalten, die man nicht kennt – was in meinem Washingtoner Apartment-Gebäude allen Mietern explizit untersagt war. Ich will wahrlich nicht behaupten, daß Berlin eine friedliche Stadt ist, aber es ist nach fünf Jahren Dauerberieselung aus dem Polizeibericht ganz angenehm, wenn die lokalen Nachrichtensendungen nicht jeden Abend mit mindestens einem Mord aufmachen. Das alles habe ich meiner Freundin Clarice aufgezählt.

„Berlin hat Hundescheiße und eine Bannmeile, Washington nicht“, finde ich am nächsten Tag in meiner Mailbox. Wo meine liebe Freundin recht hat, hat sie recht. Washingtoner Hundebesitzer sehen im Gegensatz zu ihren Berliner Artgenossen den Vierbeinern bei der Verrichtung des Geschäfts nicht etwa mit einem befremdlich wohlwollenden Gesichtsausdruck zu – sondern räumen den Mist weg. Die Androhung von Strafgeld und sozialer Ächtung macht's möglich.

Was die Bannmeile betrifft, so erscheint dieses Konzept nicht nur den Washingtonern, sondern den Amerikanern als grober Verstoß gegen die Verknüpfung von Demokratie und fun. Die Parkanlage vor dem Kapitol ist ein riesiger Freizeitpark für Jogger, Frisbee- Spieler, Footballmannschaften und Demonstranten; das Weiße Haus eine touristische Sehenswürdigkeit, in der man gegen Entrichtung kleinerer Geldbeträge in die Wahlkampfkasse des Präsidenten und seiner Partei in Abraham Lincolns Bett übernachten kann.

Zur Aufbesserung der Staatsfinanzen könnte man auch diese Idee in Berlin kopieren: Eine Nacht im (noch zu bauenden) Bundeskanzleramt auf Adenauers Kopfkissen für, sagen wir, 5.000 Euro. Hannelore serviert das Frühstück.

„Who is Hannelore“, fragt Clarice und kündigt für den Sommer ihren Besuch an, um sich Berlin selbst anzusehen. Mir glaubt sie ja nichts.

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