: Gärten und Gärten
Warum Kleingärtner im Grunde Anarchisten sind: Der Gartenbauverein in Moorfleet, der Transrapid und die heutige Zeit ■ Von Ulrike Winkelmann
„Ich kann nicht sagen, daß ich rausgeschmissen worden bin“, findet Paul Hadamek. Der 75jährige ist Vorsitzender des „Gartenbauvereins Hamburg-Moorfleth von 1918“. Hadameks müssen ihre Kleingartenburg in Moorfleet, wie der Stadtteil sich inzwischen schreibt, bis zum 30. Juni räumen.
Ja, Tränen habe es gegeben, als die Deutsche Bahn ihm mitgeteilt habe, daß sie auch seinen Kleingarten neben der Bahnstrecke Hamburg – Berlin für ihr Frachtzentrum brauche. Aber wehren könne und wolle er sich nicht: Das liege ja quasi in der Natur des Kleingärtnerdaseins, „daß die Kündigung irgendwann kommt“. Außerdem sei die neue Wohnung in Billstedt tiptop, „da läßt sich nichts gegen sagen“.
Gegenüber, die 90 Parzellen sind schon weggebaggert für das Frachtzentrum, und drüben, jenseits der Halskestraße, auf der die Schwerlaster der Speditionen donnern, da hat es auch schon einmal 300 Gärten gegeben. Die BewohnerInnen der restlichen 70 Parzellen von Hadameks Kolonie warten nun auf den Transrapid. Sollte der Stelzenflitzer gebaut werden, führt dessen Strecke durch ihre Blumenkübel, Planschbecken und Veranden hindurch.
Rund zwanzig der Parzellen des „Gartenbauvereins Hamburg-Moorfleth“, schätzt Hadamek, werden nicht hobby-bepflanzt, sondern „dauerbewohnt“. Denn in Moorfleet, ähnlich wie in vielen anderen Kolonien vor allem im Bezirk Mitte, wohnen noch viele, die in der Wohnungsnot Anfang oder Mitte der fünfziger Jahre ihre Schrebergartenlauben winterfest gemacht haben. Sie genießen bis heute Wohnrecht, das nach dem Schrebergartengesetz bis 1983 sogar noch an Kinder weitergegeben werden konnte.
Trotz einiger Verschärfungen der Gesetze haben sich die meisten Dauerbewohner bislang ihre Reiche erhalten. Über 2000 von ihnen gibt es noch in den Kleingartenanlagen, berichtet Ingo Kleist, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bürgerschaftsfraktion, Vorsitzender des Landesbundes der Gartenfreunde und damit König der Kleingärtner. „Wir unternehmen dagegen nichts“, sagt Kleist. Der ideale, gesetzes- und satzungskonforme Kleingarten ist heutzutage kleiner als 500 Quadratmeter. Davon dürfen maximal 300 Quadratmeter Nutzfläche sein, die je zu einem Drittel mit Nutzpflanzen, Zierpflanzen und Rasen sowie Laube und Terrasse bestückt sein sollen. Doch solche Anlagen wie die von Hadamek, der mit Frau und drei Kindern (alle aus dem Haus) seit Jahrzehnten auf 1000 Quadratmetern sitzt und dessen Heim mit fast 200 Quadratmetern Wohnfläche achtmal so groß ist wie die laut Satzung erlaubten maximalen 24 Quadratmeter, genießen „Bestandsschutz“, erklärt Kleist.
Dauerbewohner pflegen ohnehin eine andere Tradition als normale Pächter, die ihre Lauben nur in der Freizeit putzen. Paul Hadamek zum Beispiel mag keine Gartenzwerge – „das Ding in der Einfahrt“, ein hüfthoher Gartenriese, stehe mehr aus Zufall dort. „Es gibt Gärten und Gärten“, philosophiert der zweite Vorsitzende des Moorfleeter Vereins, Fritz Hamel. „In den normalen Schrebergärten darf man mittags nicht laut husten und muß seine Hecke auf eine bestimmte Höhe stutzen.“
Nein, was ein echter Dauerbewohner ist, gibt sich einen Hauch von Wild West. Baugenehmigungen etwa für Garagen, da lächelt Paul Hadamek fein wissend, „haben wir uns schon immer selbst erteilt“. Und: „Wer samstags und sonntags keine Schwarzarbeit macht, ist auch kein guter Kleingärtner.“
So wenig der Dauerbewohner auf die Bürokratie gibt, so gut weiß er, den städtischen Apparat zu nutzen. Hadameks gigantische Veranda zum Beispiel, die in der Kolonie Nachbauer gefunden hatte und beim Bezirksamt auf Mißbilligung gestoßen war, beschäftigte Mitte der 70er Jahre sogar den Petitionsausschuß der Bürgerschaft – und durfte stehenbleiben.
Heute sieht man der Veranda an, daß sie nicht mehr für die vielen Feste und Sitzungen, die in einer Kleingartenkolonie stattfinden, genutzt wird – Kleingärtner sind zwar aus Prinzip gesellig, doch in Moorfleet haben die Bagger schon zuviel abgeräumt, als daß hier noch viel gefeiert würde. Wenn, dann hat man sich in letzter Zeit zumeist wegen des Frachtzentrums und des Transrapids getroffen.
„Keiner ist froh, raus zu müssen“, auch Hadamek nicht. „Aber viele von denen, die da drüben raus mußten“– Hadamek zeigt aus der Panoramascheibe auf die Erdhügel der künftigen Bahnanlagen – „hatten keine richtige Toilette. Gerade alte Damen haben auch nichts am Haus gemacht und waren ganz arm. Das paßt doch gar nicht mehr in die Zeit, sowas.“
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