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Dem Bursch' kann man nicht böse sein

Österreich will dem kokainkonsumierenden Skisprunghelden Goldberger verzeihen  ■ Aus Wien Ralf Leonhard

Was sich am 19. März 1996 im Hinterzimmer einer Wiener Schickeria-Disco abgespielt hat, beschäftigt Österreich seit zwei Wochen mehr als die Polemik um Neutralität oder Nato-Beitritt und der Bundesheer-Einsatz in Albanien: Andreas Goldberger (24), einer der bestverdienenden Wintersportler Europas, zog sich dort zur Feier seines Skiflug-WM-Titels eine Dosis Kokain in die Nase. „Ich hab' überhaupt nichts gefühlt, außer schlecht war mir.“ Bei diesem einen Mal sei es geblieben. Mit diesen Worten wollte „Goldi“ die Affäre bei seinem „Geständnis“ in der Sendung „Sport am Sonntag“ gleichzeitig aufklären und aus der Welt schaffen. Der Name Goldberger war auf einer Liste von Prominenten aufgetaucht, die Suchtmittel genommen haben sollen.

Hat er nur einmal oder hat er regelmäßig? Hat er auch gekauft und womöglich weitergegeben? Oder hat ein Bürschchen vom Land, das schnell zu viel Geld gekommen ist, über die Stränge geschlagen, ohne die Folgen zu bedenken? Die Vorwürfe eines inhaftierten Drogendealers, der Goldberger auf dessen ausdrücklichen Wunsch zwanzig Gramm des weißen Pulvers beschafft haben will, wurden vom Wiener Sicherheitsbüro untersucht. Beweise konnten keine gefunden werden. Damit ist die strafrechtliche Seite der Affäre zunächst erledigt.

Goldberger wird sich, wie andere Gelegenheitskonsumenten auch, ein paar Monate lang regelmäßig bei der Polizei melden müssen, um dort in ein Reagenzglas zu pinkeln. Daß er sich neuerlich beim Konsum unerlaubter Substanzen erwischen läßt, ist nicht zu erwarten. Schließlich will der Oberösterreicher nächstes Jahr Olympiasieger werden. Ob er allerdings in Japan überhaupt starten darf, ist momentan Gegenstand einer nicht nur in den Sportgremien geführten Debatte.

Der Österreichische Schiverband (ÖSV) hat ihn letzte Woche suspendiert. Über sein weiteres Schicksal soll in den nächsten vierzehn Tagen die Disziplinarkommission entscheiden. Schließlich steht Kokain auf der Dopingliste. Zwar kann man jemandem, der nach der Saison eine Prise Koks schnupft, schwerlich nachsagen, er hätte sich zu sportlichen Höchstleistungen aufgeputscht. Doch Hardliner wie ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel sind für eine Sperre exempli gratia. Es gelte nicht nur für andere Sportler ein Zeichen zu setzen. Auch der Jugend im allgemeinen, der er Vorbild und Heros geworden ist, müsse vor Augen geführt werden, daß Drogenkonsum auch und gerade bei Spitzensportlern kein Kavaliersdelikt sei.

Der erfolgreichste Schispringer der letzten Jahre hat keine gute Saison hinter sich. Zwar holte er WM-Bronze, doch gelang ihm kein Sieg in einem Weltcup-Springen. Dann waren die Steuerfahnder hinter ihm her, weil er seine geschätzten zwei Millionen Mark Jahreseinkommen nicht mit genügend Transparenz deklariert haben soll. Die Koks-Affäre hat ihn jetzt auch zum wohlfeilen Ziel des Sensationsjournalismus gemacht. Das Wochenmagazin News versuchte in seiner jüngsten Nummer eine Kette von Verbindungen zu Süchtigen und Dealern aufzudecken und nahm dem Liebkind der Nation den Nimbus der Unschuld: Fotos mit dicker Zigarre beim Urlaub in der Dominikanischen Republik und aus einem Innsbrucker Nachtclub, wo er einem Go-Go- Girl beim Entfernen des Oberteils behilflich ist, entwerfen das Bild eines genußsüchtigen Sonnyboys, der einst schon aus dem Schigymnasium in Stams wegen Alkoholexzessen geflogen war.

Die Sprachrohre des Hurrapatriotismus sehen das anders. Eine Sperre der Goldhoffnung Goldberger könnte einen Volksaufstand auslösen. Dem wollen die um die innere Ordnung besorgten Boulevardblätter zuvorkommen. Sie sprechen ihrer Klientel aus dem Herzen — allen Muttis und Omis, die dem rotbackigen, blondlockigen Buben mit dem treuherzigen Blick nicht lange bös sein können. Die Kronen Zeitung mobilisiert gegen die Sperre, und das bunte Billigblatt Täglich Alles richtete eine eigene „Goldi-Hotline“ ein, in der zum Beispiel Gisela Steyrer (Linz) stellvertretend feststellen darf, es sei „eine Frechheit, einen jungen Burschen so durch den Schmutz zu ziehen“.

Die Sponsoren reagierten unterschiedlich. Während die Bank Austria Goldberger anwies, bis auf weiteres ihr Logo von seinem Gewande zu entfernen, versucht „Red Bull“ aus dem Theater Kapital zu schlagen. Dessen Label prangte auch neben den Hirschhornknöpfen auf dem Trachtengilet des Umstrittenen, als sich Sonntag nacht in der Diskussionsrunde „Zur Sache“ Experten und Politiker zum Thema „Scheinwelt, Spitzensport. Der Fall Goldberger und die Folgen“ äußerten.

Die Stimmung hat sich inzwischen klar zugunsten des Sünders gewandt. Für Toni Sailer, Triple- Ski-Olympiasieger von 1956, wäre eine Sperre ein unzulässiges Berufsverbot: „Schließlich muß er vom Springen leben.“

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