: Massaker im Regenwald?
■ Flüchtlinge sind Spielball der UNO und der Rebellen
Die Affäre um die 80.000 verschollenen ruandischen Flüchtlinge im Osten Zaires nimmt groteske Züge an. Nach den unbewiesenen Massakervorwürfen gibt Rebellenführer Kabila der UNO 60 Tage Zeit, um die Flüchtlinge wiederzufinden und außer Landes zu schaffen – was die UNO schon längst gern getan hätte.
Tatsächlich haben beide Seiten ihre Ziele weitgehend erreicht. Die Flüchtlinge sollen nach Kabilas Vorstellung einzeln und hilflos aus dem Wald auftauchen, unter seiner Aufsicht in Sammelzentren registriert werden und ebenso einzeln und hilflos nach Ruanda gelangen. So will er verhindern, daß die Hutu-Flüchtlinge in selbstorganisierten Lagern leben und damit als potentiell destabilisierende Kraft nach Ruanda zurückkehren. Internationale Organisationen sollten sich darüber nicht aufregen, denn genau auf diese Weise organisiert das UNHCR in trautem Einvernehmen mit der AFDL seit fünf Monaten die Rückführung ruandischer Flüchtlinge aus anderen Teilen Ostzaires.
Die schrillen Töne aus UN-Kreisen gegen Kabilas Rebellen haben einen anderen Hintergrund. Wochenlang hat UNO-Generalsekretär Kofi Annan nach Druckmitteln gesucht, um Kabila dazu zu bewegen, sich vor der Eroberung der Hauptstadt Kinshasa mit Präsident Mobutu zu verständigen. Wie Annan jetzt selbst sagt, haben seine Massakervorwürfe an die AFDL den Rebellen einen Ansehensverlust beschert. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, daß Kabila sich in anderen Bereichen konzessionsbereit zeigt.
So haben die Flüchtlinge ihre Funktion als politischer Spielball erfüllt. Es ist damit zu rechnen, daß AFDL und UNO ihren Streit rasch beilegen – schon jetzt ist von 80prozentiger Übereinstimmung die Rede. Kabila dürfte sich mit Mobutu an einen Tisch setzen, möglicherweise noch in dieser Woche, und unter UN-Aufsicht wird ein letzter Versuch stattfinden, die drohende Schlacht um Kinshasa auf dem Verhandlungsweg zu vermeiden. Es wäre nicht das schlechteste Szenario. Aber ein unangenehmer Nachgeschmack bleibt. Die massive Kritik an Kabila ermöglicht eine Ehrenrettung des Mobutu-Regimes – und was tatsächlich im Regenwald südlich von Kisangani geschehen ist, interessiert am Ende keinen mehr. Dominic Johnson
Bericht Seite 9
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