: 130 Millionen Mädchen und Frauen betroffen
■ Verschiedene Formen der Beschneidung unter unhygienischen Bedingungen
Berlin (taz) – Zwei Millionen Mädchen werden nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef jedes Jahr durch Beschneidung ihrer Geschlechtsorgane verstümmelt. Nach Unicef-Erkenntnissen sind derzeit insgesamt rund 130 Millionen Mädchen und Frauen in 28 Ländern Afrikas sowie in einigen Ländern Asiens und des Nahen Osten betroffen. In Äthiopien, Eritrea und Gambia müssen sich 90 Prozent aller Frauen dieser Prozedur unterziehen.
Bei der radikalsten Form der Beschneidung werden alle äußeren Geschlechtsteile weggeschnitten. Sie wird unter anderem in Somalia praktiziert. Die Wundöffnung um die Vagina wird so vernäht, daß ein höchstens reiskorngroßes Loch übrigbleibt. Dem Ehemann obliegt es dann, in der Hochzeitsnacht die Geschlechtsöffnung seiner Frau wieder zu erweitern. „Die meisten Männer glauben, daß die Jungfräulichkeit der Mädchen nur durch die Beschneidung sicher erhalten bleibt“, so der somalische Lyriker und Beschneidungsgegner Said Salaj Ahmed. In Westafrika wird meist „nur“ die Klitoris und ein Teil der Schamlippen entfernt, bei den Massai in Ostafrika „nur“ die Klitorisvorhaut.
Mancherorts werden diese Beschneidungen schon an wenige Tage alten Babies vorgenommen. In anderen Gegenden müssen sich die Mädchen im Alter zwischen vier und acht Jahren dem Ritual unterwerfen, oder auch zu Beginn der Pubertät.
Die Beschneidungen werden in der Regel ohne Betäubungsmittel und unter unhygienischen Bedingungen vorgenommen, meist von traditionellen Hebammen oder Beschneiderinnen. Medizinische Komplikationen sind deshalb häufig, auch Tod durch Verbluten kommt vor. In Sierra Leone mußten sich Anfang dieses Jahres nach einer Massenbeschneidung 100 Frauen und Mädchen in medizinische Behandlung begeben. An der Zeremonie hatten 600 Frauen teilgenommen. Nach Angaben eines Mitarbeiters von „Médicins sans frontières“ (Ärzte ohne Grenzen) bedurften zehn von ihnen intensiver medizinischen Betreuung.
Längerfristige Folgen können Entzündungen, Zystenbildung, Urinstau, wiederkehrende Blutungen sein, aber auch Angstzustände oder gar Psychosen. Probleme beim Geschlechtsverkehr und bei Geburten sind häufig.
Inzwischen gibt es zahlreiche Kampagnen gegen die Beschneidung. Sie leiden aber darunter, daß als erste die Kolonialherren damit begannen. Als christliche Missionare in den 20er Jahren in Kenia das Ritual unterbinden wollten, entwickelte sich daraus breiter antikolonialer Protest. In vielen Ländern ist die Beschneidung gesetzlich verboten. Doch eine uralte, tief verwurzelte Praxis läßt sich nicht durch staatliche Repression auslöschen. In Folge der Weltfrauenkonferenz 1985 in Nairobi richtete die UNO deshalb ein „Interafrikanisches Komitee traditionelle Praktiken“ ein, das Aufklärungsinitiativen afrikanischer Frauen unterstützt.
Als Vorreiter gilt Burkina Faso. Dort kämpften Parlamentarierinnen und Frauengruppen jahrelang für ein Verbot der Beschneidung. Unterstützt wurden sie von traditionellen Stammeschefs, die die mit dem Islam importierte Tradition öffentlich brandmarkten. 1988 entstand auf Regierungsinitiative ein „Nationales Komitee zum Kampf gegen Beschneidung“. Seit Ende 1996 ist sie gesetzlich verboten, BeschneiderInnen drohen empfindliche Strafen.
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