: Genossen geben Pfötchen
SPD-Parteitag: Bürgermeister Voscherau ist Spitzenkandidat und Programm. Mehr Rechtsstaat, mehr Hafen, weniger Koalitionsaussage ■ Von Silke Mertins
Seit gestern ist Hamburg „die britischste Stadt“jenseits von London. Denn seit gestern möchte Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) der britischste Sozialdemokrat des Kontinents werden. 47 (Labour) zu 29 (Konservative) Prozent bei den Wahlen in Großbritannien sei kein schlechtes Verhältnis, „auch für Hamburg“, so der Bürgermeister vor rund 300 Genossen auf den SPD-Parteitag im CCH.
Gegen eine Koalitionsaussage verwahrte der seit neun Jahren regierende Voscherau sich zwar ausdrücklich. Doch seine Grundsatzrede ist in vielerlei Hinsicht eine Absage an die GAL, bei deren Spitzenkandidatin der Lack „auch bei der Person Krista Sager“ab sei.
Als Knackpunkte nannte er sowohl Wirtschafts- als auch Sicherheitspolitik. Zur „Förderung für High-tech-Industrie“dürfe man Gentechnik „nicht verteufeln“, müsse Flugzeugbau-Industrie unterstützt, Altenwerder ausgebaut und die Elbe vertieft werden. „Vor allem anderen kommt es auf den ,Arbeitsplatz Hamburg' an“, machte Voscherau seine Prioritäten im Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie deutlich.
Auch Law and Order dürfe kein Tabu sein, erhob Voscherau seinen Zeigefinger. „Kein Geheimnis“sei, daß ihm eine Gesetzesverschärfung – die unter dem Namen „Bettler-Erlaß“Furore machte – nicht gelungen sei. Er halte das umstrittene New-York-Konzept „Zero Tolerance“– jede noch so kleine Straftat wird verfolgt – für diskussionswürdig. Wer dem britischen Labour-Chef und Wahlsieger, Tony Blair, nicht beipflichte, daß innere Sicherheit ein sozialdemokratisches Thema sei, „soll mir heute nicht seine Stimme geben“.
Die Genossen taten es dennoch. Mit 275 Ja-Stimmen bei 17 Nein-Voten und fünf Enthaltungen wurde Voscherau zum Spitzenkandidaten gewählt. Als erster durfte ihm SPD-Chef Oskar Lafontaine die Hand schütteln. Zuvor hatte der Saarländer eine kampfbetonte Kohl-Beschimpfungsrede gehalten.
Bei soviel Wille zum Sieg mit Hilfe sozialdemokratischer Einigkeit mochte denn auch niemand bei der Aussprache zum SPD-Wahlprogramm ein Widerwort geben. In einer Rekordzeit von 35 Minuten wurde das 31seitige Programm durchgearbeitet und einstimmig verabschiedet. Eine Watsche erhielt indes die hafenkrankenhausgeschädigte Gesundheitssenatorin Helgrit Fischer-Menzel: Sie wurde mit 156 Ja- und 129 Neinstimmen bei 21 Enthaltungen nur knapp auf die Bürgerschaftsliste gewählt. Fast ebenso schlecht schnitt Schulsenatorin Rosie Raab ab: 165 Ja-, 104 Neinstimmen, 39 Enthaltungen. Auch die anderen Frauen auf den ersten 15 Spitzenplätzen erhielten – bis auf Bürgerschaftspräsidentin Ute Pape – peinlich schlechte Ergebnisse.
Satte Mehrheiten ergatterten hingegen Finanzsenator Ortwin Runde, Haushalts-Guru Walter Zuckerer, DGB-Chef Erhard Pumm und der Vizepräsident der Hamburger Handwerkskammer, Horst Schmidt.
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