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Ade, mein Kulturverweser!

Droht ARD und ZDF das Gnadenbrot als marginaler Bildungs- und Heimatfunk? Eine wirkliche Debatte über ihre Zukunft täte dringend not  ■ Von Lutz Meier

Auf dem Bildschirm ist die Zeit der Landgrafen lange vorbei. ARD und ZDF versuchen, die verlorenen Gemarkungen durch eine Programmierung zu retten, die das Eindringen der kommerziellen Söldner laut zähneknirschend akzeptiert hat. Doch wenn deutsche Intendanten medienpolitisch agieren, wie zuletzt Ende April bei der Baden-Badener ARD-Versammlung, dann ist wenig zu spüren jenseits der Verwundungen, daß die Zeiten vorbei sind, als ein öffentlich-rechtlicher Rundfunksender noch der höchste Kulturverweser im Lande war.

„Dieses System ist so sehr an sein Ende geraten“, sagt mit Blick auf die ARD der Fernsehberater Lutz Hachmeister, eine Erneuerung sei nicht mehr denkbar. Wie die öffentlichen Theater und Universitäten sind die der Gemeinschaft verpflichteten Rundfunk- und Fernsehanstalten unter Legitimationsdruck geraten. Doch anders als jene sind die gebührenfinanzierten Sender in der Mitte jener Entwicklung tätig, von der der Druck auf alles Öffentliche ausgeht: Als Konkurrenten in einem Medienmarkt, der allgemein als das Ding der Zukunft gilt und dessen Dynamik genau das zu verkörpern scheint, was als „Globalisierung“ in aller Munde ist.

Die Diskussion um die Zukunft der öffentlichen elektronischen Medien steht in allen demokratischen Ländern an, für die public broadcasting bislang ein konstitutives Element war wie öffentliche Gesundheitsfürsorge. Doch in Deutschland, wo es den größten und reichsten öffentlichen Medienverbund gibt, findet die Debatte bisher kaum statt. Zwar gibt es eine Diskussion über die ARD- Reform (das ZDF ist irgendwie aus dem Schußfeld verschwunden), doch unter diesem Signum subsumieren sich vom Abschaffungs- bis zum Beharrungswunsch die gegensätzlichsten Konzepte. Reform bedeutet bislang nichts als Stellenabbau, Anstaltsfusionen und ihre Betrachtung durch die betriebswirtschaftliche Brille.

Die Debatte über die Neufundierung des öffentlichen Rundfunks freilich findet nicht statt. Die Anstalten, um deren Überleben es doch geht, haben sie durch das Ritual ersetzt. Das zeigte sich auch in der letzten Woche bei den Tutzinger Medientagen. Man brauche nur nach Ostdeutschland schauen, da könne man sehen, wieviel Raum den Öffentlichen dort bleibe, wo die neue Zeit schon angekommen ist, sagt ZDF-Vizeprogrammchef Hans Janke – nämlich um 20 Prozent Marktanteil (Westen: 40 Prozent). „Ich warne davor, die Diskussion in die Gesellschaft zu tragen“, sagt er, vor allem in populistischer Manier: „Das ist wie bei der Todesstrafe.“ Uwe Kammann, der den Fachdienst epd Medien verantwortet, sieht ARD und ZDF schon „dahinröcheln in voller alter Schönheit“ – freilich nur, wenn sie weiterhin auf dem Status quo beharrten. Er fordert die Anstalten zur Offensive auf: „Es geht schlicht um eine gesellschaftliche Grundsatzdebatte.“

Wie sehr die medienpolitische Achsenverschiebung bereits ans Eingemachte geht, kann man sich von dem Mainzer Juristen Reinhart Ricker vorführen lassen, der den Privatfunkverband VPRT berät und dessen Argumentation die Bonner Koalitionsmehrheit so bestechend fand, daß sie sie in den Bericht der Bundestagsenquete schrieb. Die bisherige Rundfunkordnung – Öffentlich-Rechtliche grundversorgen, Kommerzielle verdienen – erklärt er für obsolet, denn auch die Privaten befänden sich inzwischen auf dem Weg der Grundversorgung. Mithin seien die Privilegien der Öffentlichen bei Finanzierung und Verbreitung tendenziell hinfällig. Da weiß Ricker sich einig mit jenen starken Kräften in der EU-Kommission, die TV ohnehin zum reinen Wirtschaftsgut erklären wollen. Seltsam, daß es nur jene Vertreter sind, die die Frage aufwerfen, was öffentlicher Rundfunk in der annoncierten Informationsgesellschaft noch soll – nämlich ein Gnadenbrot als marginaler Heimat- und Bildungsfunk verzehren.

Warum sich ARD und ZDF mit einer Offensive so schwertun, erklärt vielleicht Lutz Hachmeisters Analyse der Mentalität in den Anstalten. Eine „neurotische Struktur“, sagt er, habe zum Realitätsverlust geführt. Traditionsbindung und Bedeutungsverlust, zudem die planlosen Sparmaßnahmen der letzten Jahre, zeigen Folgen. Eine hermetische Struktur, die durch den Stellenabbau („dafür bekommt man heute jede Gratifikation“, so Hans Janke) noch gefördert wird. Die Abwicklung von unten hat begonnen. Obwohl sie Milliarden umsetzen, sind die Anstalten zu den einschüchterbarsten der sozialen Gebilde geworden.

Die Konkurrenzsituation und die politische Bedrohung machten es nötig, so Janke, „Apparate, die keine Pioniere sind, in dieselbe Vitalität zu führen, die Pionieren eigen ist“. Doch Larmoyanz scheint den Anstalten immer noch wohlfeiler als solche Vitalität. Es gehe auch um das Produkt, meint Hachmeister: „Öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist als publizistischer Faktor aus der Gesellschaft verschwunden.“ Alfred Bioleks unterwürfiges Kanzlerinterview sei beispielhaft dafür, wie die Sender nicht nur medienpolitisch, sondern auch publizistisch den „Anschluß an ein geschlossenes Establishment-System“ suchten. Und damit den Untergang.

Das Verhältnis zwischen Öffentlich-Rechtlichen und Privaten sei nach dem Antagonismus der Gründungsjahre und dem Einander-ähnlich-Werden der Folgezeit in seine dritte Phase eingetreten: Nämlich in eine Art Konkubinat, wo man in füglicher Koexistenz einander schätzt und nicht behelligt. Wer da wen im Marktanteilsbett nur noch duldet, ist politisch vielleicht schon ausgemacht.

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