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Der kurze Spuk vom Mythos Texas

Geiselnahme unblutig beendet. Die Hintergründe des Verbrechens weisen tief in die Geschichte des US-Bundesstaates zurück. Von 1836 bis 1845 war Texas tatsächlich unabhängig  ■ Aus Washington Peter Tautfest

Die Konfrontation ist vorbei: Richard McLaren, selbsternannter Botschafter der „Republik Texas“, unterzeichnete ein Waffenstillstandsabkommen und gab auf. Eine Woche lang hatte er sich in den entlegenen Bergen von Westtexas verschanzt und gedroht, ein Sturm auf seine Position würde den Dritten Weltkrieg auslösen. Begonnen hatte das Drama am 27. April mit einer Geiselnahme.

McLaren versteht sich selbst als Funktionsträger der von den USA widerrechtlich besetzten „Unabhängigen Republik Texas“. Er fordert ein Referendum über die Unabhängigkeit des Bundesstaates. Den Anschluß an die USA 1845 bezeichnet er als Annexion. Pünktlich zur Eröffnung des Prozesses gegen den mutmaßlichen Bombenattentäter von Oklahoma City, Timothy McVeigh, in Denver hat sich damit die rechtsradikale Milizbewegung in den USA erneut in Erinnerung gebracht.

Das Department of Public Safety in Texas ging auf die Forderung des Geiselnehmers ein und ließ einen seiner Anhänger, der wegen Betruges in Haft saß, im Tausch gegen die beiden Geiseln frei. Die texanische Behörde war bestrebt, die Fehler der Bundesbehörde FBI am Rubi Ridge und vor allem in Waco zu verhindern, wo im April 1993 beim Sturm auf die „Ranch Apocalypse“ der Davidianer- Sekte 90 Menschen umgekommen waren. Der Sturm auf Waco gilt als das Fanal, das den Bombenanschlag von Oklahoma City auslöste. Gegen McLaren lagen Haftbefehle vor, und dessen Nachbarn drohten, selbst gegen ihn vorzugehen, wenn die Polizei dem Spuk nicht ein Ende mache.

Die Hintergründe dieser bizarren Konfrontation reichen weit in die texanische Geschichte zurück. Texas war ursprünglich eine Provinz Mexikos und um einiges größer als der heutige Bundesstaat. Zu Texas gehörten weite Teile des heutigen New Mexico, ganz Colorado und ein Zipfel Wyomings. Um ihre Kontrolle über das riesige und unerschlossene Territorium zu festigen, förderte die mexikanische Regierung die Ansiedlung von Einwanderern aus Europa. Diese Zuwanderung aber veränderte den Charakter des Landes. 1836 erklärte sich das von weißen Siedlern dominierte Texas für unabhängig. Der Krieg mit Mexiko begann. Von 1836 bis 1845 war Texas tatsächlich eine unabhängige Republik. Der Beitritt zu den USA forderte den Texanern einen hohen Preis ab. Texas mußte ein Drittel seines Staatsgebietes abtreten, dafür übernahm die Bundesregierung die texanischen Staatsschulden.

Die Erinnerung an die texanische Unabhängigkeit aber überdauerte als unterschwelliges Ressentiment gegen die Bundesregierung mehr als ein Jahrhundert. So traten während der Ölkrise Demagogen mit dem Argument auf, Texas bekomme für das Einbringen seiner Ressourcen – Öl, Bodenschätze, Wolle, Vieh, Nahrungsmittel und vor allem Steuern – nicht genügend zurück. Damals erschienen T-Shirts und Stoßstangenaufkleber mit der Aufschrift „Unabhängigkeit für Texas“ und „Loslösung von der USA“.

Heute ist Texas wie die meisten Staaten des Westens dabei, seinen Charakter zu ändern. Chips und High-Tech machen inzwischen einen größeren Teil des Bruttosozialprodukts aus als Öl und Viehwirtschaft. Der wachsende Handel mit Mexiko im Zuge des Freihandelsabkommens (Nafta), vor allem aber die stete Zuwanderung von Mexikanern, die auf eine demographische Revolution und eine schleichende Reconquista hinauslaufen, verändern den Staat. Texas ist nicht mehr, was es mal war. Das mobilisiert Ressentiments und die Frustrationen jener, die sich vom Mythos Texas nicht verabschieden können.

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