piwik no script img

Selbst schuld, die Sechziger

Stadtmeisterschaft mit eigenen Gesetzen: 1860 beherrscht die Bayern, spielt doch nur 3:3, und der Herr Wildmoser kann's nicht begreifen  ■ Aus München Markus Götting

Als der Schlußpfiff geblasen war, stoben Blau und Rot auseinander. Die Fußballer des FC Bayern München machten sich auf zur Südkurve und jene des TSV 1860 München in entgegengesetzte Richtung. Aber es schien so, als ob manche Löwenkicker noch gar nicht geschnallt hatten, daß es eigentlich nichts zu feiern gab nach diesem 3:3 im Lokalderby. Ob sie den Ausgleichstreffer zwei Minuten vor Ende nicht mitbekommen hatten? Torschütze Carsten Jancker jedenfalls baute sich am Mittelkreis auf und ging in Pose für einen herbeigeeilten Fan, der diesen Moment für die heimische Fotosammlung bewahren wollte. Jancker fühlte sich wohl als Held: die Hände in die Seite gepreßt, Kinn gen Abendhimmel, Blick erhabenermaßen ins Irgendwo.

Jancker hatte es getan, hatte sich durchgesetzt gegen drei Sechziger, ein Tor erzielt gegen den Frust des Reservistendaseins, und der Hälfte von knapp 70.000 Zuschauern im ausverkauften Münchner Olympiastadion fuhr Entsetzen in die Glieder und Tränen in die Augen. Kurz vorher erzählte ein Kollege mit glückselig kieksender Stimme, wie er seine Jugend damit vertrödelt hatte, auf diesen Tag zu warten, daß Sechzig die Bayern niedermachen werde. Er wird weiter warten müssen.

Tragisch war das. So tragisch wie Lokalderbys in letzter Zeit immer sind für die Löwen. Diesmal mußten sie gewinnen. 2:0 nach 18 Minuten, zwei Tore durch Horst Heldt, der Anschlußtreffer von Jürgen Klinsmann kurz vor der Pause, zehn Minuten danach Ausgleich durch Mehmet Scholl. Selbst schuld, die Sechziger. Und doch kamen sie zurück ins Spiel, weil Christian Ziege gelb-rot-gestraft zum Duschen trabte und Jörg Böhme Minuten nach seiner Einwechslung zum 3:2 traf. Sieben Minuten dann nur noch, und Lothar Matthäus ebenfalls nach zweiter gelber Karte suspendiert – reichte trotzdem nicht für die Löwen. „Das hört sich dämlich an, daß man traurig ist, wenn man gegen den FC Bayern unentschieden spielt“, sagte Horst Heldt, „aber so ist es.“

Der TSV 1860 war überlegen, und das war die Überraschung. „Ich glaube nicht, daß das nur Dummheit war, daß wir nicht gewonnen haben“, zeterte Sechzig- Präsident Karl-Heinz Wildmoser mit tomatenrotem Kopf, „da war Überheblichkeit bei.“ Die Löwen? Überheblich gegen Bayern? Soweit ist es noch nicht. Die Rivalen von der Säbener Straße sind nach wie vor enteilt, fußballerisch und ökonomisch. Wenn es aber um die Stadtmeisterschaft geht, gelten diese Gesetze offenbar nicht, zumal jene des Fair play: Ruggerio Rizzitelli versetzte Matthias Hamanns Schienbein einen Vollspannstoß, Christian Nerlinger rammte Bernhard Trares die Stollen in die Achillessehne, und Christian Ziege trat nach allem, was sich bewegte. So was macht man gemeinhin nicht unter Sportsfreunden. „Aber im Derby“, sagte Manfred Bender, der ungekannt einsatzfreudige Ex-Bayer, „geht es um die Ehre.“

Vor ungefähr dreißig Jahren haben die Löwen gegen Bayern die deutsche Meisterschaft vergeigt – diesmal womöglich die Teilnahme am Uefa-Cup. Der Herr Wildmoser hat darauf gesagt, er sei zwar kein Fußballer, aber daß die Jungs den Sieg sausen lassen, wolle er nicht begreifen, allein schon wegen der schönen Uefa-Cup-Prämie. Womöglich kommt die ja trotzdem zur Auszahlung: Gewinnt Stuttgart den DFB-Pokal und qualifiziert sich nicht für die Champions League, gewinnt Dortmund das Champions-League-Endspiel und wird nur Dritter oder Vierter der Bundesliga, dann sind die Löwen ein Kandidat zum Nachrücken. Verdient hätten sie es. Nach dem denkwürdigen Derby zumal.

FC Bayern München: Kahn – Matthäus – Babbel, Helmer – Zickler, Dietmar Hamann (46. Scholl), Strunz, Nerlinger, Ziege – Klinsmann (70. Jancker), Rizzitelli (74. Münch)

Zuschauer: 69.000 (ausverkauft)

Tore: 1:0 Heldt (15.), 2:0 Heldt (18.), 2:1 Klinsmann (45.), 2:2 Scholl (57.), 3:2 Böhme (82.), 3:3 Jancker (88.)

Gelb-rote Karten: Ziege (71.), Matthäus (83.), beide wegen wiederholten Foulspiels

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen