: Läßt Gaddafi algerische Islamisten internieren?
■ Ein aus dem Land geschmuggelter Brief beschreibt geheime Gefangenenlager, in denen geflohene Anhänger der Islamischen Heilsfront (FIS) gefoltert werden
Madrid (taz) – In Libyen soll es Gefangenenlager für algerische Islamisten geben. Das behauptet der in Paris ansässige Algerische Bund in Frankreich (FAF) unter Berufung auf einen Brief aus dem nordafrikanischen Staat. Die von Krausch Mussa, einem ehemaligen Mitglied der Auslandsleitung der Islamischen Heilsfront (FIS) Algeriens, geführte Organisation schweigt sich „aus Sicherheitsgründen“ über die Autoren des Schreibens aus. Eine erste Gruppe von Gefangenen aus einem Camp in al- Falah soll bereits nach Algerien abgeschoben worden sein, mehrere hundert weitere warten angeblich auf das gleiche Schicksal.
Nach Angaben der FAF bestellten die libyschen Behörden vor einem Jahr alle im Land lebenden Algerier zur Polizei – unter dem Vorwand, ihre Papiere in Ordnung bringen zu lassen. „Viele von ihnen, hauptsächlich FIS-Mitglieder, wurden festgenommen“, heißt es in dem Brief. Die Anhänger der in Algerien verbotenen Partei waren in das Nachbarland geflüchtet. Ohne Angabe von Gründen seien sie „in Polizeifahrzeugen zusammengepfercht und mit verbundenen Augen an einen unbekannten Ort in Tripolis gebracht“ worden. Anschließend seien sie auf Gefangenenlager in Bu Slim, Ain Sahra, Hauasat al-Inab, Tadschura, as-Saha al-Chadra und Hai al-Falah aufgeteilt worden. „Von außen sehen die Camps wie ganz normale Fabriken, Unternehmen, Schulen aus“, heißt es in dem Brief. Über die Zahl der Gefangenen werden nur in zwei Fällen Angaben gemacht: In Ain Sahra seien 300 Personen interniert, in Bu Slim 200.
Die ersten 34 Stunden nach ihrer Festnahme sei den Gefangenen der Gang zur Toilette verweigert worden, heißt es. Jedesmal wenn einer der Verantwortlichen die Haftanstalten betrete, müßten sich alle Gefangenen mit dem Gesicht zur Wand aufstellen. Auf dem Weg zum WC würden den Gefangenen die Augen verbunden, Prügel sei an der Tagesordnung. Zwei Hungerstreiks hätten kaum Verbesserungen gebracht.
Am grausamsten seien nächtliche Verhöre. Häftlinge hätten sich mit dem Gesicht zur Wand stellen müssen: „Die Schinder mißhandelten sie solange, bis sie ohnmächtig zusammenbrachen. Ihnen wurden immer wieder Namen von wildfremden Personen genannt, die sie wiedererkennen sollten. Falls nicht, ging die Folter weiter.“ Viele Gefangenen mußten diese Prozedur mehrmals über sich ergehen lassen. „Ihr einziges Verbrechen ist ihre Zugehörigkeit zur FIS“, heißt es in dem Brief.
Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi sei „so wechselhaft wie das Wetter im April“, heißt es aus dem Umfeld der in Deutschland ansässigen FIS-Auslandsleitung über die Hintergründe der Verhaftungen. „Heute bist du Freund, morgen schon Feind.“ Braucht Gaddafi einen Auftritt auf der internationalen politischen Bühne, dann bringt er sich als Vermittler zwischen der FIS und dem algerischen Regime ins Gespräch. Gleichzeitig läßt er zu Hause die eigenen Islamisten und andere Oppositionelle unerbittlich verfolgen. Für geflohene AlgerierInnen ist deshalb in Libyen kein Platz. Reiner Wandler
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