: Das Baströckchen der Gleichgültigen
■ Archivieren für den Dialog: Wulf Köpke, Direktor des Museums für Völkerkunde, ist seit fünf Jahren im Amt
Der Ministerialdirektor aus Bonn beendet seine Ansprache im Museum für Völkerkunde: „...dann wünsche ich Ihnen eine gute Jagd auf Turkmenen!“.Die anwesenden Landsleute müssen dreimal schlucken, bis sie begreifen, nicht sie sind gemeint, sondern ihre Teppiche.
Wo so viel Feingefühl gegenüber Ausländern praktiziert wird, bleibt für die Völkerkunde noch viel zu tun. Denn zusätzlich zur Beschäftigung mit den Produkten fremder Kulturen haben sich die Ethnologen heute auch einer gesellschaftspolitischen Aufgabe zu stellen.
Archivierte Dinge als Anlaß eines wirklichen Dialogs, das ist das zentrale Anliegen von Professor Wulf Köpke, der jetzt auf die ersten fünf Jahre seines Direktorats im 1879 gegründeten Museum am Rothenbaum zurückblicken kann. Hat er die Erwartungen erfüllt, die in ihn gesetzt wurden? Diese Frage ist kaum zu beantworten, hat er doch ein einigermaßen verschlafenes Museum übernommen, an das niemand besondere Forderungen gestellt hatte. Und statt wie geplant großzügig aufgestockt, wurden die Gelder und Stellen inzwischen von der Behörde in wesentlichen Bereichen zunehmend gekürzt, so daß noch viele Reformideen unrealisiert bleiben mußten. Der Sparzwang ist auch ein Motor zur Effizienzsteigerung, geht aber mit seinen jährlichen Quoten ohne Prioritätensetzung inzwischen an die Substanz. Dabei kommt einem Museum für Völkerkunde, versteht man es denn richtig, in den Zeiten der realexistierenden Kulturvielfalt geradezu eine Schlüsselrolle zu.
„Fremdenfeindlichkeit ist ein Problem – aber das viel größere ist die weitgehende Gleichgültigkeit gegenüber den anderen“, sagt Köpke, der selbst zehn Sprachen spricht, und wird nicht müde, auf die Bedeutung seines „Völkerverständigungsmuseums“hinzuweisen. Das Hamburger Haus ist mit 350 000 Objekten und einer Viertelmillion Photodokumenten (etwa 3 Prozent davon können gezeigt werden) das viertgrößte Völkerkundemuseum in Europa und das besucherstärkste im deutschsprachigen Raum. Aber gemessen an den Starmuseen am Hauptbahnhof sind 170.000 Interessierte eher wenig.
Das Museum für Völkerkunde ist inzwischen zu einem Treffpunkt für Ausländer geworden. Etwa 20 Prozent beträgt ihr Anteil an den Besuchern. Das eine „Dach für alle Kulturen“mit seinen Veranstaltungen ist für viele gerade wegen der institutionellen Neutralität eines Museums attraktiv. Feste wie die polnische Majowka oder ein portugiesisches Arraial, Informationsveranstaltungen wie die Japanwochen und alle Ausstellungen werden inzwischen grundsätzlich in Absprache und mit Hilfe von Angehörigen der betreffenden Kulturen durchgeführt.
Dazu trägt das Haus seinen Sachverstand weiter nach außen: Köpke leitet ein interkulturelles Kommunikationstraining für die Polizei, bietet einen ethnologischen Informationsservice und wird nach der Sanierung die Archive als Studiensammlungen zugänglich machen. Bis zum Jahr 2003 werden schrittweise die Dauerausstellungen neugestaltet, um das „ethnographische Präsens“zu korrigieren, also die Festschreibung beispielsweise längst vergangener agrarischer Lebensformen als Aktualität von Kulturen, die nicht mehr durch Ureinwohner in Baströckchen, sondern durch Multimillionenstädte mit mehreren Flughäfen geprägt sind. Ein Konzertsaal für Weltmusik, ein Laden für traditionelles Handwerk und ein neues Restaurant, in dem zu den Ausstellungsthemen gekocht wird, sind geplant.
Für 1999, zur Einführung des Euro als Zahlungsmittel will das Museum mit Ausstellung und Publikationen einen Beitrag zur Erforschung der europäischen Identität leisten. Denn das Hamburger Museum hat, was sehr ungewöhnlich ist, eine große Europa-Abteilung, die den ethnologischen Blick auch in die Nähe gestattet.
Hajo Schiff
Aktuelle Sonderausstellung: „Indianer der Plains und Prärien“, bis 31. August.
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