: Gleichtönende Argumente
Der Wahlkampf in Frankreich läßt den Bruderkrieg der Konservativen wieder aufbrechen. Die Franzosen verhalten sich, als ginge sie alles nichts an ■ Aus Paris Dorothea Hahn
Die Kontrahenten im französischen Wahlkampf schreiben Briefe. 16 Tage vor dem ersten Urnengang tauschen der sozialistische Spitzenkandidat und Aspirant auf das Amt des kohabitierenden Premierministers, Lionel Jospin, und Staatschef Jacques Chirac, der offiziell noch für fünf Jahre Präsident aller Franzosen und als solcher gar nicht im Wahlkampf ist, ihre Ansichten schriftlich in den Tageszeitungen aus. An der Basis kleben derweil in Windeseile mobilisierte handwerkliche Kräfte aussagekräftige Plakate, die auf der einen Seite versprechen, „wirklich links“ (KPF) zu sein und die „Zukunft ändern“ (PS) zu wollen, auf der anderen Seite ankündigen: „Mit Chirac der gemeinsame Elan“. Doch vom neuen Elan, den Chirac wecken wollte, ist im Land wenig zu spüren. Im Gegenteil: Kaum hatte der Staatspräsident das Parlament aufgelöst, beeilten sich die Mitglieder beider konservativer Regierungsparteien, zu versichern, daß sich an ihrer Politik nichts ändern werde. Diese Versicherung war nötig geworden, nachdem die Opposition festgestellt hatte, daß die Neuwahlen Chirac freie Hand für eine noch härtere Austeritätspolitik verschaffen sollten, um Frankreichs problemlosen Einzug in die Europäische Währungsunion zu gewähren.
Chirac ließ die Dinge, die er losgetreten hatte, zwei Wochen lang laufen. In dieser Zeit rauften sich die zerstrittenen konservativen Brüder, die christlich-liberale UDF und die neogaullistische RPR zu einem gemeinsamen Programm zusammen. Und auch die in der Euro-Frage völlig unterschiedlich orientierten Sozialisten (PS) und Kommunisten (KPF) schafften überraschend schnell eine gemeinsame Erklärung. Die wahlkampftaktischen Befriedungen führten zu einer Gleichtönigkeit in den Argumenten. Zumal das heikle Thema Euro von den großen Parteien ganz klein behandelt wird. Die Kommunisten haben ihre Kampagne für ein Referendum gegen den Euro, ihre Hauptaktivität der letzten Monate – sang- und klanglos eingestellt. Bloß die Rechtsextremen trumpfen jetzt noch mit ihrer Gegnerschaft zu der gemeinsamen Währung auf.
Die Mehrheit der Franzosen verhält sich, als ginge sie das ganze Spektakel nichts an. Wohlweislich beschränken die Wahlkämpfer ihre Auftritte auf Besuche auf Märkten und in Einkaufsstraßen. Die wenigen Großveranstaltungen werden erst im allerletzten Moment angekündigt. Doch unterhalb der leidenschaftlichen Ausbrüche ist die Landschaft in Bewegung geraten. Die PS hat mit ihrem Wahlkampfversprechen von 700.000 neuen Arbeitsplätzen und einer generellen Reduzierung der Arbeitszeit auf 35 Stunden einen Nerv getroffen, der die Konservativen beunruhigt – auch wenn Jospin bislang die Antwort schuldig geblieben ist, wie er sein Programm finanzieren will. Beunruhigend für die Konservativen sind auch die Ergebnisse der alltäglichen Meinungsumfragen, wonach der Drift nach links anhält und ihre Mehrheit im Parlament immer weiter schrumpft (gestern sprachen die großen Institute von 290 rechten und 286 linken Abgeordneten im neuen Parlament).
Jedenfalls brach in den vergangenen Tagen der nur mühsam zurückgehaltenen Bruderkrieg der Konservativen wieder auf. Unverholen gingen sowohl UDF-Mitglied und Exstaatspräsident Valéry Giscard d'Estaing, als auch RPR-Mitglied und Expremierminister Edouard Balladur, auf den gemeinsamen Spitzenkandidaten Alain Juppé los. Ein personeller Wechsel an der Spitze der Regierung, so ihr Argument, sei von Nutzen. In jedem Fall gelte es, eine Kohabitation zu vermeiden.
In dieser Situation griff Chirac zur Feder. Sein Brief – der in 14 ansonsten von Paris stiefmütterlich behandelten Provinzzeitungen erschien – ist eine Aneinanderreihung von kritischen Fragen an die Sozialisten. Am Ende wiederholt Chirac, der sich Sorge um seine eigenen politische Zukunft zu machen beginnt, die Aufforderung: „Ich brauche Ihre Unterstützung.“ Als ginge es um seine eigene Wahl.
Zwei Tage später antwortete ihm gestern Jospin. Statt Fragen reihte der Sozialistenchef allgemeine Bekenntnisse zur Größe Frankreichs, zu „Freiheit, Gleichheit etc.“, sowie ein Meaculpa für die Fehler der vergangenen sozialistischen Jahre aneinander. Sein an die Presse verschickter Brief erschien im Parteiblatt der im Wahlkampf ansonsten ausgesprochen sozialistenfreundlichen Kommunisten nur in Auszügen.
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