: Boykott der Billigflaggen
■ ÖTV-Aufruf fruchtet: 32 deutsche Reeder unterzeichnen Tarifverträge
Sie fahren unter den Flaggen von Tuvalu oder Antigua, doch auch das Deutsche Zweitregister wurde von der Internationalen Transportarbeiter Föderation (ITF) zur Billigflagge erklärt, die deutsche Reeder hissen, um den „Rückfall in den Manchester-Kapitalismus“zu praktizieren. Dieser Meinung ist Dieter Benze, Seefahrtexperte der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV). Seit gestern lehren ÖTV und ITF diese Reeder das Fürchten: „Stell Dir vor, Billigflaggen-Schiffe kommen in den Hafen, und keiner fertigt sie ab“, lautet das Motto ihrer europaweiten Boykottwoche.
So manchem genügte diese Drohung, um einen Rückzieher zu machen. 32 Schiffe deutscher Eigner, so Benz, hätten sofort nach Bekanntwerden des Boykottaufrufs die gewerkschaftlich geforderten Tarifverträge für ihre Seeleute abgeschlossen. Nachdem ein ITF-Trupp im Hamburger Hafen gestern dem unter zypriotischer Flagge fahrenden Frachter „Ivory“einen Besuch abstattete, entschloß sich dessen griechischer Eigner, für seine gesamte Billigflotte (sieben Schiffe mit rund 200 Seeleuten) entsprechende Verträge zu unterzeichnen. Und auch der Reeder der unter deutscher Zweitregisterflagge fahrenden „Lappland“wollte es nach Angaben der ÖTV nicht auf einen Boykott ankommen lassen. Nur der Kapitän des englischen Frachters „Horn Cloud“, der unter Sri Lankas Flagge fährt und seit gestern am Schuppen 44 liegt, ließ sich auf keine Verhandlungen ein. Am späten Nachmittag kam es zum Boykott: Hamburgs Hafenarbeiter verzögerten das Be- und Entladen des Schiffes.
Die Mindeststandards der ITF sehen für Matrosen eine Heuer von 1.100 Dollar pro Monat vor. Einem Seefahrer, der auf Billigflaggenschiffen anheuert, steht ansonsten ein Lohn zu den Bedingungen seines Heimatlandes zu. „250 Dollar im Monat sind da keine Seltenheit“, erläutert Benz. Weltweit fuhren nach Angaben der ÖTV 1995 rund 16.000 Schiffe unter Billigflaggen. Nur ein Viertel davon hatte einen Tarifvertrag mit der ITF abgeschlossen. Karin Flothmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen