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„Fehlt nur noch der Liegestuhl“„

Hafenarbeiter boykottieren die Entladung von Billigflaggern  ■ Von Karin Flothmann

Morgens um acht ist alles ruhig am Schuppen 44 in Hamburgs Freihafen. In einer Containerbaracke wird Skat gekloppt. Zigaretten qualmen. Auf dem Tisch stehen Plastikbecher mit abgestandener Cola. „Hätt' ich mir doch 'nen Liegestuhl mitgebracht“, stöhnt Aggie, blinzelt in die Sonne und streckt die langen Beine. Zusammen mit 18 Kollegen boykottiert er seit Beginn der Frühschicht die Arbeit. Vor ihm taten das schon andere, die ganze Nacht hindurch, seit Montag nachmittag.

Auf der anderen Seite des Kais liegt die „Horncloud“, ein britischer Frachter, der unter der Billigflagge Sri Lankas fährt. Bananen aus Ecuador hat er geladen. Um sieben in der Früh sollte er eigentlich entladen sein. Doch bisher arbeiten nur sechs Leute an Bord, anstelle der üblichen 30. „Wenn das so weitergeht“, grinst Aggie, „dann sind die nicht vor heute nacht fertig.“

Ausgerufen wurde der Boykott von der Internationalen Transportarbeiter Föderation (ITF). Der geht es um anständige Bezahlung an Bord, denn Billigflaggen-Schiffer müssen sich an keine Tarife halten. Die Bezahlung auf solchen Pötten, so weiß Dieter Benze von der Gewerkschaft ÖTV, erinnere im Extremfall an Sklaverei. Jüngst wurde ein Reeder gestoppt, der afrikanische Seeleute ausschließlich gegen Kost und Logis beschäftigte. Andere zahlten gerade mal 250 Dollar pro Monat. 1.100 Dollar Heuer sollen es sein, heißt es laut ITF-Tarifvertrag. Auf der „Horncloud“gilt dieser Minimalvertrag bislang nicht. Deshalb der Boykott.

Ein Stück ab von den Hafenarbeitern stehen vier Herren in Anzug und Krawatte, das Handy im Anschlag. „Das is' die Elite“, weiß Aggie. Um zehn Uhr haben die herrschaftlichen Handy-Notrufe Erfolg. Ein erster Trupp Arbeiter drückt sich am Kai entlang und entert die „Horncloud“, ein zweiter folgt, dann noch einer. „Streikbrecher“, tönt es aus den Reihen der ITF. Ein weiteres Förderband läuft an, wenig später rumpeln die ersten Bananenkisten in die Kühlhalle von Schuppen 44. Die Arbeit geht etwas schneller voran, doch schnell genug für den Reeder kann es schon nicht mehr sein. Eigentlich sollte die „Horncloud“längst an einem anderen Kai mit neuer Fracht bestückt werden.

Rund 20 Leute von ÖTV und ITF kurbeln die Proteste im Hamburger Hafen an. Nicht nur den Eignern des Billigflaggers „Tanger“ist die Aktionswoche ein Dorn im Auge. Mit Blick auf einen ersten ITF-Boykott im März dieses Jahres, der die Löscharbeiten auf dem Frachter erheblich verzögert hatte, zogen sie jedoch als einzige Reeder vor das Arbeitsgericht in Hamburg. Immerhin wird die „Tanger“heute erneut im Freihafen erwartet. Gestern wies das Gericht den Unterlassungsanspruch zurück. Es darf weiter boykottiert werden.

„Hätt' ich das gewußt, wär' ich gar nicht erst gekommen.“Zusammen mit zwei Kollegen drückt Dieter sich im Schatten des Schuppens 44. Eigentlich ist auch er als „Streikbrecher“vorgesehen. Ob er überhaupt aufs Schiff gehen soll, weiß der gedrungene Mittvierziger inzwischen nicht mehr so genau. „Heut' morgen bin ich von meinem Chef aus'm Bett geklingelt worden.“Nach drei Stunden Schlaf und Arbeit in der Spätschicht. Dieter grunzt. Seit einer Woche ist er erst dabei, vom Arbeitsamt vermittelt, bisher ohne Vertrag. 1.800 Mark soll er pro Monat kriegen. Billiglohn für Knochenarbeit.

Aggie kann da nur milde lächeln. Sein Lohn nach Hafentarif ist fast doppelt so hoch. Und den Lohn-Ausfall für den heutigen Tag zahlt ihm die Gewerkschaft. Um drei ist Aggies Schicht vorbei. Ruhig war's. Gefehlt hat eigentlich nur der Liegestuhl.

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