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Reaktionär, aber gut gelaunt

■ Die Kirche am Südstern wird 100 Jahre alt. Der neugotische Protzbau wird von charismatischen Gemeinden aus aller Welt genutzt, die nicht nur für die rechte Frömmigkeit, sondern auch für gute Stimmung in der Ki

Am Sonntag nachmittag ist die Stimmung am besten. Schlagzeug, E-Gitarre, Keyboard und Trommeln sorgen für tanzbare Rhythmen, die hohen Wölbungen der Kirche für die richtige Akkustik. Der überdimensionierte neugotische Hallenbau der Kirche am Südstern (Kreuzberg) ist genau die richtige Kulisse für die Party. Männer und Frauen mit Kindern auf dem Rücken tanzen durch die Gänge zu den Klängen von „I'm so thrilled by Jesus“.

Wenn ein unbekanntes Gesicht auftaucht, kommt sofort ein freundlicher junger Mann und grüßt mit warmem Lächeln: „Wir haben einen Platz für dich.“ Um einen weit nach vorne in die Mitte der Kirche zu führen, wo die Gruppendynamik am besten ist. Das Gospel Believers Centre, eine afrikanische Gemeinde aus Ghana, hält ihren Gottesdienst in der Kirche am Südstern ab, der viel ansprechender ist, als die Schwermut deutscher Protestanten.

Auf dem Höhepunkt der Stimmung erscheint das Brautpaar, um sich segnen zu lassen. Da schlägt die Stunde von Pastor Isaac Oppong: In der Ehe müssen vier Kardinalfehler vermieden werden: Ehebruch, Unzucht, Mangel an Liebe und die Emanzipation der Frau.

Das Gospel Believers Centre ist eine der Tochtergemeinden des Christlichen Zentrums Berlin, das seit fünfzehn Jahren die denkmalgeschützte Kirche nutzt. Der neugotische Sandsteinbau, den oft poppige Transparente („Jesus Christ – Test the best“) schmücken, feiert in diesem Monat sein hundertjähriges Bestehen. Und während die Kirche vor knapp zwanzig Jahren wegen Leerstands beinahe abgerissen worden wäre, herrscht hier heute so lebhafte Stimmung wie nie zuvor.

Am gleichen Tag finden noch zwei deutsche Gottesdienste, in kleineren Räumen der Kirche zusätzlich die Gottesdienste der Tamil Mission Church und der äthiopischen Oromo-Gemeinde statt. Soviel internationales Aufgebot muß suspekt erscheinen. AnwohnerInnen berichten von Ausweiskontrollen durch Zivilbeamte, die auf der Suche seien nach illegalen EinwanderInnen. Die Polizei will das nicht bestätigen.

Über ein Schrumpfen der Gemeinde kann sich die charismatische Freikirche nicht beklagen, seit sie im Jahr 1981 den leerstehenden Protzbau kaufte. „Wir brauchen noch mehr Räume, um unsere Gruppen unterzubringen“, meint Pastor Paul Nogossek, „der Umbau ist noch längst nicht abgeschlossen.“ Allein zum Christlichen Zentrum gehören 700 Mitglieder.

Wie bei anderen Freikirchen auch herrscht beim Christlichen Zentrum eine Mischung aus progressiver Attitüde und reaktionären Inhalten. In ihren Schriften finden sich nicht nur Berichte über das Wirken des Heiligen Geistes, es werden auch kräftig Ressentiments gegen andere Glaubensgemeinschaften geschürt, etwa durch Hinweise auf eine vermeintliche „blutige und brutale Verfolgung von Christen“ in islamischen Ländern oder durch Ratschläge zur Missionierung: „Welche Argumente muß ich bei den Juden kennen?“.

Doch selbst Kritiker gestehen dem Zentrum zu, daß es sich mittlerweile für soziale Aufgaben öffnet. So veranstaltet es nach dem Gottesdienst für Obdachlose eben auch ein ausgedehntes Frühstück mit anschließender Begleitung bei Behördengängen. Auch bei den vielen Gemeindemitgliedern nichtdeutscher Herkunft ist es mit der Seelsorge allein nicht getan. „Die Verzahnung mit sozialen Aufgaben kommt automatisch“, meint Pastor Nogossek, „aber uns fehlt die Manpower.“

Von solch reger Gemeindetätigkeit können andere Kirchen nur träumen, wie etwa die benachbarte katholische St.-Johannes-Basilika, die mit der Kirche am Südstern eine ähnliche Geschichte teilt. Beide Kirchen wurden als Garnisonskirchen unter dem Regime von Kaiser Wilhelm II. errichtet und unter Salutschüssen und Glockengeläut im Mai 1897 eingeweiht. Den Soldaten der in Kreuzberg beherbergten Garderegimenter sollten in den Kirchen die rechte Gottes- und Kaiserfürchtigkeit eingehaucht werden.

Nach 1945 standen beide Kirchen ohne Gemeinde da, woran sie selbst nicht ganz unschuldig waren. Die katholische Basilika wurde mühsam weitererhalten, die Kirche am Südstern bis Anfang der siebziger Jahre von der Stadtmission genutzt, dann von der serbisch-orthodoxen Gemeinde. Die evangelische Landeskirche wollte sich nicht mit ihrem Unterhalt belasten, so daß der Bund sie zum Verkauf anbot. Thekla Dannenberg

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