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Freischwinger im Kinderzimmer

Auf der Spielwiese der Moderne: Eine Ausstellung und eine Dokumentation erinnern an den Architekten Eckart Muthesius, der 1930 den Palast des Maharadschas von Indore erbaute  ■ Von Katrin Bettina Müller

Einen Thron gab es nicht im Palast des Maharadschas von Indore. Statt dessen krönten die Ausstattung der Bibliothek die Lesesessel, die der Berliner Architekt Eckart Muthesius 1930 für den indischen Sommersitz entworfen hat. Das Remake prangt auf einem goldenen Sockel: Hohe rote Lederpolster mauern den Sitzenden ein. Metallkufen lassen diesen Rolls Royce unter den Sesseln lautlos über den Teppich gleiten. Den Clou bilden eingebaute Leselampen in den Ohrenbacken und ein Aschenbecher in der Armlehne: Lesen und Rauchen in höchster Vollendung.

Bei seinen Aufenthalten in Indien fotografierte Muthesius Baugerüste, Sandträger, Tempel, den Maharadscha bei der Tigerjagd, Autos und Elefanten bei der Durchquerung eines Flusses, von Fußgängern belebte Straßen durch die Wüste und einen Rastplatz, auf dem Hunderte von Menschen Rücken an Rücken in langen Schlangen auf dem Boden sitzen und von Blättern essen. Dann dokumentierte er Raum für Raum die schimmernden Interieurs seiner Palast-Architektur. Da sitzt niemand in den 30 kubischen Sesseln um den Bankett-Tisch, in dessen Platte Lichtfelder für das Blumendekor eingelassen waren.

Eckart Muthesius kam mit silbernen Löffeln zur Welt. Schon das Taufbesteck, das sein Pate Charles Rennie Mackintosh aus Glasgow schickte, wies jene langgezogene verschlankte Form auf, mit der sich die Gestalter des 20. Jahrhunderts vom Historismus verabschiedeten. Ausgebildet im Büro seines Vaters Herrmann Muthesius, Begründer des deutschen Werkbundes, war die Durchformung des Alltags bis ins Detail von Lichtschaltern, Türbeschlägen und Schirmständern sein selbstverständliches Aktionsfeld.

Traum vom modernen Gesamtkunstwerk

Der Bau der Privatresidenz für Rao Holkar Bahadur bot eine einmalige Gelegenheit, den Traum vom modernen Gesamtkunstwerk zu verwirklichen. Von außen wirkte das dreigeschossige Gebäude, das einen bewässerten Innenhof rahmt, ungewohnt schlicht und kühl: Die weißen Putzflächen wurden nur von roten Markisen unterbrochen. Im Innern aber entfaltete sich das gestalterische Programm des International Style wie sonst nur auf Messen üblich.

Auf drei Schiffen waren die Möbel in Indien angekommen, die Muthesius vor allem in Berliner Werkstätten nach eigenen Entwürfen und Modellen der internationalen Avantgarde von Mies van der Rohe, Le Corbusier und Marcel Breuer hatte anfertigen lassen. Als „Produkt deutscher Wertarbeit“ war die Ausstattung auf einer Ausstellung in Berlin von 3.000 Besuchern bewundert worden.

In Indore erprobte Muthesius die neue Technik, Metall- und Glasstaub auf die Wände zu spritzen. So entstand der schimmernde Rahmen für Türen aus dunklem Rauchglas, in die Wand eingelassene Landkarten aus Silber, Spiegel und Lackschirme, Betten aus grünem, gewölbtem Opakglas, Lampen aus gestaffelten Metalltrichtern. Das Zeitalter der Stahlrohrmöbel war allgegenwärtig: metallische Rahmen faßten Lampen, Bettumrandungen, Lichtschienen an den Bücherregalen, die Vitrine für den ausgestopften Tiger. Selbst das Kinderzimmer war mit Marcel Breuers berühmten Freischwingern in Kindergröße und einem Laufstahl aus Stahlrohr ausgestattet.

Doch diese Möbel waren nicht nur modern, sachlich und funktional (bis auf die dreibeinigen Stühle, mit denen die Minister im Arbeitszimmer umkippten), sondern auch Träger einer sozialen Botschaft: von der Befriedigung elementarer Bedürfnisse jenseits repräsentativer Schnörkel. Deshalb erscheint die Tatsache, daß ihr Gefüge aus Transparenz, geometrischer Reduktion und modernen Materialien ausgerechnet in einem indischen Palast die höchste Perfektion erreichte, zugleich als ein Eingeständnis ihrer Fehleinschätzung der Realität.

So hatte sich der Traum von einer technisch beflügelten Mobilität immer auch über die Eroberung neuer Bewegungsfreiräume legitimiert. Der Eisenbahnwaggon und die Jagdkarawane, die Muthesius aus vier sternförmig geparkten LKWs und einem Zelt entwickelte, reizten zwar die technischen Möglichkeiten aus und beglückten durch praktische Details; aber sie vergrößerten nur ein privat abgestecktes Terrain.

Der Bauherr als exotischer Liebhaber

Im Werkbund-Archiv gibt es eine Überraschung: Stummfilme flimmern zwischen den Dokumenten des sachlich strengen Mobiliars. Aus den dreißiger Jahren stammen die Amateuraufnahmen, in denen Muthesius und Rao Holkar sich als exotische Liebhaber von Frauen und schnittigen Autos gaben. Die Filme sind das vergnügte Nebenprodukt eines glücklichen Künstlers, der seinen Lebensentwurf ohne Not mit lockerer Hand gestaltete. Die Moderne erwies sich für Muthesius junior als eine Spielwiese der Selbstverwirklichung, von der ihn erst der Faschismus vertrieb.

Ohne den Glanz des Exotischen, ohne den Schimmer des Utopischen verlief seine Nachkriegskarriere. Er baute und er baute viel, wenn auch abseits der öffentlichen Aufmerksamkeit. Kurz nach dem Krieg wurde die amerikanische Militärregierung sein größter Auftraggeber. Muthesius plante die Wiederinstandsetzung von Verwaltungsbauten, entwickelte Standardisierungen für Siedlungen, konzipierte „Klein- Amerika“, die Siedlung Vogelweh für 12.000 Militärangehörige bei Kaiserslautern und spezialisierte sich später auf den Bau von Krankenhäusern.

Anlaß für die zweiteilige Muthesius-Ausstellung in Berlin ist ein Bildband von Reto Niggl, das den Palast als vergessenes Juwel des internationalen Stils vorstellt. Mit finanzieller Unterstützung der Gehag konnte das Werkbund-Archiv Berlin, das über den Muthesius-Nachlaß verfügt, die ausführliche Palastdokumentation übernehmen. Im Foyer der Gehag werden Indienfotos des Architekten, Möbelentwürfe und seine Nachkriegslaufbahn vorgestellt.

Daß diese die Architekturgeschichte bisher kaum interessierte, dokumentieren die Pläne und Fotos, die es ohne Beschriftung und Datierung dem Besucher nicht leichtmachen. So fehlt es leider an einer Kommentierung der Beziehung zwischen dem Palast als Musterhaus und den Standardisierungskonzepten in den großen Nachkriegsprojekten.

Bis 27. Juni, Werkbund-Archiv (tägl. 10–20 Uhr), Stresemannstraße 110; Gehag Forum (Mo.–Fr. 9–17.30 Uhr), Mecklenburgische Straße 57.

Reto Niggl: „Eckart Muthesius – Der Palast des Maharadschas von Indore“, Arnoldsche Verlagsanstalt, 49 DM in der Ausstellung.

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