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Wand und BodenLändliche Agonien

■ Kunst in Berlin jetzt: Tracey Moffatt, Janet Cardiff, Johannes Kahrs

„True Stories“ ist eine eher schläfrige LP der Talking Heads über den amerikanischen Mittelwesten, die vor ein paar Jahren mit David Byrne als Conférencier auch verfilmt wurde. Tracey Moffatts Foto-Serien gleichen der dort vorgeführten ländlichen Agonie, obwohl ihre Hometown auf einem ganz anderen Kontinent liegt. Die 37jährige Filmemacherin wurde im australischen Brisbane geboren; ihre Mutter stammt aus England, ihr Vater ist Aborigine. Früher drehte sie Videoclips für INXS und inszenierte Kurzbiographien über die Unbillen kultureller Identität, jetzt wird sie Australien bei der Biennale in Venedig vertreten.

Auch die 1989 entstandene neunteilige Fotoarbeit „Something More“ ist eine Kurzgeschichte, in der sich dunkle Begierden mit Ethno- und Popzitaten vermischen. Moffatt erzählt das Schicksal ihrer Protagonistin als Mini-Soap-Opera, für die sie sich die Bonbonfarben von Sixties-Musicals ausborgt und den feministischen Grundton bei Camille Paglia. Immer wieder sieht man eine sehnsüchtig dreinblickende Frau im roten Kleid, die bald von einem asiatischen Jungen bedrängt wird, dann vor einem Cop mit Peitsche auf dem Boden kriecht und zuletzt mit zerfetztem Schlüpfer auf der Staße niedergestreckt liegt. Ein Fall für Marcel Duchamps „Étant Donnés“: Weibliche Sexualität – eine Krankheit zum Tode? Jedenfalls bleibt es unklar, ob Moffatts Modell leidet oder genießt. Selbst der Cop trägt rotlackierte Fingernägel und könnte einer lesbischen S/M-Phantasie entsprungen sein. Für die Künstlerin stellt sich das ganze Szenario als „high camp melodrama“ vor expressionistischen Kulissen dar. Hoffnungslos, doch lichtdurchflutet.

Bis 22. 6., Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–15 Uhr, Galerie Andreas Weiss, Leibnizstraße 45

Man zieht ein Ticket, bekommt Kopfhörer und wartet auf den Einlaß in eine schwarz verhängte Kabine. Dort steht ein zierlicher Schemel vor einer noch zierlicheren Miniaturbühne, auf der nach ein paar Sekunden die winzige Videoprojektion einer beleibten Opernsängerin erscheint. Was immer sie vorträgt und gestikuliert, es paßt nicht zum Ton, den man hört. Plötzlich bricht die Arie ab, das Publikum zählt wie beim Geburtstag einen Überraschungs-Countdown herunter und irgendeine Frauenstimme säuselt von rechts, daß man den Koffer unter dem Stuhl nehmen soll. Draußen wird ein Auto warten, aber nicht mehr lange, denn die Polizei hat das Theater bereits umstellt und auch sie muß sich nun verabschieden – „It's up to you now“. Das alles möchte man gerne glauben, nur ist da gar kein Koffer unter dem Stuhl. Und so wartet man verdutzt, bis die Sängerin ihr Lied beendet hat, das man ohnehin nicht hören konnte.

„Playhouse“, die audio-visuelle Installation der Kanadierin Janet Cardiff in der Galerie Barbara Weiss, ist als Experiment aufgebaut. Es geht um die Kunst der Ablenkung: „Wie verändern akustische Reize unsere Wahrnehmung der physischen Welt? Inwieweit können sie Imagination freisetzen und die Anwesenheit von Dingen und Emotionen suggerieren, die nicht real vorhanden sind?“ Dabei vertraut Cardiff sehr stark auf den theatralischen Kontext, der durch die kleine Bühne vorgegeben ist, noch ehe sich die Handlung überhaupt zum Hörspiel verkehrt. Man sieht eine Oper, wird per Kunstkopf in ein befremdliches Publikumsgemenge hineinsimuliert, und dann erst entwickelt sich die gegenläufige Kriminalerzählung. Insofern bleibt auch die Ablenkung vom Rahmen abhängig. Andererseits unterschätzt Cardiff die Illusionskraft des Theaters: Wer würde heute selbst in der Oper nicht mit einem spontanen Programmwechsel rechnen? Schließlich ist man schon von Castorfs Volksbühne einiges an Brüchen gewohnt.

Bis 28. 6., Di.–Fr. 12–18, Sa. 11–14 Uhr, Potsdamer Straße 93

Die Galerie Arndt & Partner mag themenbezogene Ausstellungen. Das Programm für dieses Jahr heißt „Storytellers“, womit man sich gleich vom strengsten Grundsatz der Moderne verabschiedet: Niemals hätte ein allein der autonomen Form verpflichtetes Kunstwerk eine Geschichte erzählen dürfen. Mit seiner vierteiligen Video-Installation „Hole“ nimmt der Berliner Maler Johannes Kahrs zumindest ein paar Elemente der reinen Lehre wieder auf: Ein Bildschirm strahlt ständig blau und dröhnt dazu in unangenehmen Frequenzen, ein anderer zeigt in warholartiger Monotonie die langsam untergehende Sonne; auf einem Monitor sieht man Anna Karina in einer Szene aus Godards „Pierrot le fou“, und der letzte Apparat läßt in kurzen Loops sogenannte Blaubilder aufblitzen, dazu sind Geräusche und Stimmen aus David Lynchs „Eraserhead“ zu hören. Dann spielt eine Flamenco-Gitarre und der Fernseher bleibt dunkel.

An einer Nacherzählung von Ereignissen ist Kahrs nicht interessiert, ebensowenig an Metaphern. Eher schon zeigt jeder Monitor ein bestimmtes malerisches Genre: Der Sonnenuntergang ist mit Gemurmel am Eßtisch unterlegt und markiert zugleich eine Landschaftsidylle frei nach Munch; Karina fährt sich wie bei einer Porträtstudie selbst in Zeitlupe noch unentwegt durchs Haar und das Blau brummt dunkel oder sirenenschrill. Tatsächlich bekommt man bloß Farbe, Ton und minimale Bewegung vorgeführt – alles auch Komponenten einer guten Story, hier nun aber vollkommen abstrakt zueinander geordnet. Eine Art visueller TripHop, dessen unterschwelliger Rhythmus sich irgendwann zum dichten All-Over auftürmt und dann abschwillt wie bei einem körperbezogenen Video von Bruce Nauman. Der Künstler freilich agiert heute nicht mehr selbst, er sieht lieber fern, wählt aus und läßt die Geräte für sich arbeiten.

Bis 21. 6., Di.–Sa. 14–19 Uhr, Hof 3, Rosenthaler Straße 40/41 Harald Fricke

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