: Drive-in im Alten Schlachthof
Die Pläne für ein autofreies Wohngebiet auf dem Areal des Alten Schlachthofes in Prenzlauer Berg sind geplatzt. Das Projekt scheiterte am politischen Desinteresse der Landesregierung ■ Von Christoph Dowe
Berlin hat ein ökologisches Projekt weniger. Auf dem Gelände des Alten Schlachthofes in Prenzlauer Berg sind die Pläne für ein autofreies Wohnen gestorben. Hier, wo die Medienvertreter für die Olympischen Spiele 2000 untergebracht werden sollten, hatten sich seit 1993 verschiedenste Gruppen für Wohnungsneubauten eingesetzt, die sich an einem Leben ohne Auto orientieren.
„Die Idee des autoarmen Wohnens im Alten Schlachthof wird von Bausenator Klemann nicht weiterverfolgt“, bestätigt nun Rainer Klaus, Leiter der Stadtentwicklungsgesellschaft Eldenaer Straße (SES). Die SES hat im Auftrag des Senats die Vermarktung und Entwicklung des zu bebauenden Gebiets im Zentrum Berlins übernommen. Aus der Senatsverwaltung für Bauen ist zu hören, daß der Stopp des Projekts bereits im Februar auf allerhöchster Ebene beschlossen wurde und eine Weisung die zuständigen Sachbearbeiter zum Nichtstun verdonnerte.
„Klar, daß wir enttäuscht sind“, sagt Karlheinz Selm vom Verein Leben ohne Auto, der ein Konzept für das geplante Modellprojekt auf dem 50 Hektar großen Grundstück ausgearbeitet hatte. „Zuerst redeten die Verwaltungen nur noch von ,autoarm‘ statt von ,autofrei‘ – jetzt ist also auch das gestorben.“ Aber: „Wir geben nicht auf.“ Nach wie vor hofft Selm, daß ein Teil des denkmalgeschützten Ensembles für den autofreien Wohnungsbau zur Verfügung gestellt wird. Er baut darauf, daß das Thema im Wahlkampf wieder hochkommt.
Doch Umweltsenator Peter Strieder (SPD) hatte auf einen Hilferuf des Vereins Leben ohne Auto nicht reagiert – obwohl sich das Thema ohne Zweifel als erneuter Medienzankapfel mit seinem Intimkontrahenten Bausenator Jürgen Klemann (CDU) geeignet hätte. Die Sozialdemokraten betonen zwar, daß ein Pilotprojekt dringend notwendig sei – „aber die Eldenaer Straße halte ich dafür nicht besonders geeignet“, sagt der baupolitische Sprecher der SPD, Michael Arndt. Er würde in Prenzlauer Berg viel lieber ein Logistikzentrum entstehen sehen.
Unterstützung bekommt der Verein Leben ohne Auto vor allem von den Bündnisgrünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Die baupolitische Sprecherin der bündnisgrünen Fraktion, Ida Schillen, glaubt zweckoptimistisch: „Dort könnte eine ökologische und arbeitsmarktorientierte Entwicklung parallel stattfinden.“
800 Interessenten hatte der Verein Leben ohne Auto innerhalb kurzer Zeit für ein autofreies Wohnen auf dem Schlachthof gefunden, bis zu 2.500 Wohnungen wollte man bauen. Das Gelände zwischen Landsberger Allee, Thaer-, Habsburger- und Eldenaer Straße liegt verkehrsgünstig, da der Anschluß an den öffentlichen Personennahverkehr besser kaum sein könnte. In Berlin hat die Mehrheit der Bewohner keinen blechernen Untersatz. Laut einer repräsentativen Umfrage der Infas-Sozialforschung können sich 25 Prozent aller Berliner ein Wohnen im autofreien Gebiet vorstellen.
Die Hoffnungen von ökologischen Verkehrsplanern wurde also wieder einmal gedämpft. Erst vor kurzem mußte ein ähnliches Projekt in Bremen aufgegeben werden. Und weitere Projekte in Münster oder Köln planen höchstens noch Kompromißvarianten – entweder wird die Zahl der Wohneinheiten sehr gering eingeplant, oder man geht ohnehin nur noch von „autoarmen“ Planungen aus. Ein ganzes Wohnviertel autofrei zu gestalten, das halten die Verkehrsstrategen heutzutage nur noch für wenig aussichtsreich.
Da das Gebiet des Alten Schlachthofes als eines der fünf Berliner „Entwicklungsgebiete“ ausgewiesen ist, liegt die Planung für das derzeit nur gewerblich genutzte Areal bei Bausenator Jürgen Klemann (CDU) und nicht beim Bezirk Prenzlauer Berg. Der CDUler freilich kann mit Ideen, die hauptsächlich von der ökologischen Opposition unterstützt werden, herzlich wenig anfangen. Ebenso ergeht es der SES. Schon in der Vergangenheit war der SES immer wieder vorgeworfen worden, sich wenig bis gar nicht für die Idee des autofreien Wohnens begeistert zu haben und von Anfang an nur auf die Entwicklung als Gewerbestandort gesetzt zu haben.
„Die SES hat versagt“, sagt Schillen. „Die haben kaum Investoren gefunden, weil es ohnehin schon viel zuviel Gewerbefläche in Berlin gibt.“ An autofreies Wohnen hätten die SESler von vornherein nicht geglaubt, konsequent höchstens von „autoarmer“ Planung geredet.
SES-Leiter Klaus verteidigt sich: „Wir kommen bei der Vermarktung der Grundstücke beim autoarmen Wohnen nicht weiter. Nur ein Interessent wollte solche Wohnungen bauen, aber es wurde zuwenig für die Grundstücke geboten.“ Tatsächlich hatte nur die Aktivität des Vereins Leben ohne Auto einen Investor, die Wohnungsbaugenossenschaft 1892, aufgetrieben. Die SES glänzte durch Untätigkeit.
Letzte Rettung für die Idee des autofreien Wohnens: Das Gebiet dürfte nicht länger als Entwicklungsgebiet ausgewiesen werden. Wenn das Abgeordnetenhaus dies beschließen würde, fiele die Planung wieder an das Bezirksamt Prenzlauer Berg zurück – und dort sitzt als profilierte Baustadträtin die Bündnisgrüne Dorothee Dubrau. Daß dies geschieht, ist allerdings sehr unwahrscheinlich.
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